Auf der Sonnenseite des Sports

Japans Athletinnen und Athleten haben ihren olympischen Plan bereits übererfüllt. Um nicht zu weit hinter China zurückzufallen, hat das Land trotz Wirtschaftskrise in den Sport investiert, und auch die Sponsoren lassen sich nicht lumpen

AUS ATHEN MARTIN HÄGELE

Schon nach der Hälfte des brutalen Hitzerennens traf ein, was das olympische Orakel von Tokio prophezeit hatte. Mizuki Noguchi, 26 Jahre alt, aus Kanagawa und mit ihren 40 Kilo und 150 Zentimetern ein ganz zierliches Persönchen, verwandelte sich auf der klassischen Distanz zur „Königin des Marathon“. Während die Weltrekordhalterin Paula Radcliffe aus England unter den sengenden Strahlen zusammenbrach, lief Noguchi-san in einem Korridor aus weißen Fahnen und roten Sonnen gelassen ihrer Bestimmung entgegen. Im Handbuch der japanischen Delegation stehen wahre Wunderdinge über die Ausdauer der zähen Läuferinnen aus dem Land des Lächelns; nicht ein einziges Wort des Bedauerns, dass Naoko Takahashi, die vor vier Jahren in Sydney so fantastisch gesiegt hatte, ihren Titel nicht verteidigen konnte. „Q-chan“ (das kleine Gespenst), wie die Star-Läuferin in Japans Zeitungen liebevoll genannt wird, war bei der Qualifikation für Athen zu langsam gewesen.

Also feierten die Menschen auf dem 3.000 Kilometer langen Inselreich zwischen Okinawa und Hokkaido wieder einmal in den frühen Morgen hinein; nicht nur auf den Uhren ist Nippon jetzt der Welt voraus. Die Athleten und Athletinnen aus Japan haben sich in Griechenland als sportliche Großmacht vorgestellt. Als gestern Abend im Olympiastadion zu Ehren von Mizuki Noguchi „Kimi Go Yo Wa“ gespielt wurde, war das garantiert nicht das letzte Mal, dass im Rahmen des Fünf-Ringe-Festivals die älteste Nationalhymne der Welt erklang. Schon nach der ersten Woche hatten die Abteilungen Judo, Schwimmen, Turnen und Marathon ihren Delegationschef Kenji Nishima Lügen gestraft, in dessen Planauftrag „25 Medaillen, davon mindestens zehn goldene“ gestanden hatten. Nun war es Sonntagabend und die Bilanz wies 13-mal Gold, sechsmal Silber und siebenmal Bronze aus. Außerdem Platz drei im Medaillenspiegel.

Wie kann ein Land, das in Sydney noch Rang 15 in der sportlichen Nationenwertung belegt hat, solch einen Riesensprung auf dem olympischen Parkett hinlegen? Schließlich kriselt Japans Wirtschaft schon über zehn Jahre vor sich hin. Ein staatlich verordnetes Sport-Aufrüstprogramm, wie es China im Rahmen der Peking-Propaganda 2008 schon länger durchzieht, wäre unter Premierminister Koizumi nicht möglich, dafür herrschen im einstigen Wirtschafts-Paradies des Kontinents zu viele soziale und gesellschaftspolitische Probleme. Andererseits frönen die führenden Nationen des menschenreichsten Erdteils ihren sportiven Ambitionen nicht länger nur intern bei ihren Asien-Spielen; man will und muss auf der Weltbühne punkten. Und bei diesem Image-Wettbewerb gilt nun in Tokio und Seoul gleichermaßen das Motto: Lasst die Chinesen nicht uneinholbar wegziehen.

Seit 2001 steht in Tokio ein Gebäudekomplex namens JISS. Hinter dem Kürzel verbirgt sich das Japanische Institut für Sportwissenschaft, das sich der Förderung von Traditions- und Hallensportarten unter elitärem Hochleistungsprinzip verschrieben hat. Die japanischen Ausscheidungskämpfe im Judo etwa waren so streng, dass sich deren Sieger in Narita schon mit dem Selbstbewusstsein in den Flieger setzten, in Griechenland auf keine gleichwertigen Gegner zu treffen – was sie mit acht Goldmedaillen bestätigten. Für Nippons Schwimm-Kader galten nicht die olympischen Qualifikationsnormen, sondern für die Teilnahme am Endlauf hochgerechnete Zeiten – wobei alle 20 nominierten Schwimmerinnen und Schwimmer diese Auflagen im olympischen Bassin auch erfüllten.

Dass nach 28 Jahren die japanischen Turner ganz oben auf dem Podest standen, war auch den sportwissenschaftlichen Planern zu verdanken. Nur drei Tage nachdem das Athener Organisationskomitee die Turngeräte bei einem holländischen Hersteller gekauft hatten, war der identische Parcours in einer Halle des JISS-Instituts aufgebaut. Für die Nutzung ihrer High-Tech-Anlagen zahlen die Sportverbände übrigens Miete.

Weil sich sportliche Erfolge offensichtlich doch politisch verkaufen lassen, hat die Regierung dem japanischen olympischen Komitee unlängst einen lang ersehnten Traum verwirklicht und gleich neben der Medaillenfabrik ein unerschlossenes Stück Land erstanden. Zu einem hor- renden Preis, weil nirgendwo auf der Welt Grund und Boden mehr kostet als in der japanischen Metropole. „Wir brauchen dieses nationale Trainingszentrum, das in erster Linie den Mannschaftsspielarten vorbehalten sein soll“, sagt Pressesprecher Hiroshi Takeuchi, „wir wollen ja auch in Peking wettbewerbsfähig sein.“

Sport lohnt sich demnach in Japan. Das sieht man ganz deutlich bei einem Rundgang im Internationalen Pressezentrum. 21 von 102 Büros sind dort von japanischen Zeitungshäusern angemietet, von Yomiuri Shimbun, der mit 20 Millionen Auflage größten Tageszeitung der Welt, bis zu kleineren Blättern wie Kumamoto Nishi-Nishi Shimbun. Zum Vergleich haben sich nur vier deutsche Medien bzw. Agenturen dort ein eigenes Büro geleistet. Und auch die Firmen, bei denen die Sportler angestellt sind, lassen sich nicht lumpen. Der 15-jährigen Tischtennisspielerin Ai Fukuhara, der jüngsten, kleinsten und deshalb bei Japans Medien beliebtesten Sportlerin, waren für eine Goldmedaille 23 Millionen Yen versprochen worden. Umgerechnet 170.000 Euro. Für den Schwimmer Kosuke Kitajima sind solche Boni schon fast ein Nasenwasser. Er hat für zweimal Gold und einmal Bronze bislang nur die offiziellen Medaillenprämien (zusammen 51.000 Euro) erhalten. Doch er wird von „Sunny Side Up“ vermarktet, der Firma für Superstars. Diese hat etwa mit dem japanischen Kicker-Idol Hidetoshi Nakata Werbeverträge abgeschlossen, die diesen nach Beckham, Zidane und Ronaldo zum Top-Verdiener der Fußball-Branche gemacht haben. Kitajima, der bekannteste Metzgerssohn Japans, befindet sich seit ein paar Tagen ebenfalls in der Werbespur zum Millionär.