Geht doch nach drüben!

Die „Stiftung Warentest“ hat die Krankenversicherungen analysiert. Das Ergebnis: Für viele lohnt sich ein Wechsel

aus Berlin ULRIKE WINKELMANN

Warum hat die AOK Berlin eigentlich noch Mitglieder? Die Krankenkasse ist mit 15,5 Prozent Beitragssatz eine der teuersten überhaupt und bietet dafür wahrhaftig keine besonders guten Leistungen. Nun, sagt Hermann-Josef Tenhagen, Chefredakteur der Zeitschrift Finanztest, „viele wissen einfach nicht, wie hoch ihre Beiträge sind.“

Die Versicherten sind träge

Das Volk der Versicherten ist, gemessen an den Möglichkeiten, immer noch recht träge. Dabei ist die Verunsicherung dank der Dauerdebatte um Gesundheitsreform und medizinische Leistungen groß. Also hat die Stiftung Warentest Krankenkassen getestet. 500 gesetzliche Kassen und private Versicherungen wurden für die aktuelle Ausgabe von Finanztest auf Preis und Leistung durchgecheckt. Ergebnis: 500 Euro kann ein Arbeitnehmer mit einem Einkommen von 3.000 Euro brutto sparen, wenn er die Kasse wechselt.

Wer über die „Versicherungspflichtgrenze“ springt und mehr als 3.825 Euro verdient, aber auch Beamte und Selbstständige können sich bei einer privaten Krankenversicherung versichern. Auch hier sind die von Stiftung Warentest gemessenen Unterschiede erheblich. Richtig gut schnitten nur zwei Tarife ab: Männliche Beamte sind bei der Axa „sehr gut“ für 131 Euro im Monat versichert, Beamtinnen „sehr gut“ bei der Debeka für 170 Euro. „Mangelhaft“ ist dagegen etwa der viel genutzte Allianz-Tarif für selbstständige Männer, auch diverse Angebote der Halleschen bekamen ein hässliches „mangelhaft“.

Nun können Privatversicherungen ihren Kunden andere und bessere Leistungen anbieten als die Gesetzlichen: Zu dem guten Gefühl, Patient erster Klasse zu sein, kommen etwa Einzelzimmer im Krankenhaus und Naturheilmittel. Und nur dies, sagt Tenhagen, solle für Gutverdiener ein Grund sein, zu einer Privaten zu wechseln, nicht etwa das Geld. Günstiger als die Gesetzlichen können Private nur für allein stehende Männer sein – und für Beamte, denen der Staat die Hälfte aller Krankheitskosten zahlt. „Gehen Sie nur, wenn Sie es sich leisten können“, erklärt Tenhagen. Denn zwar locken die Privaten Junge und Gesunde mit billigen Tarifen. Diese aber wachsen später rasant an – wenn es ein Zurück zur Gesetzlichen kaum mehr gibt.

Ärger verursacht jedoch auch der Wechsel zwischen zwei Privatversicherungen. Denn die Privaten bilden von früh eingezahlten Prämien „Altersrückstellungen“ – sonst würden die Tarife mit dem Alter noch steiler ansteigen. Dieses Kapital kann bei einem Wechsel bislang nicht mitgenommen werden, weshalb man sich einer Privaten in der Regel fürs Leben verbindet.

Von privat zu privat

„Dies ist ein Missstand, den wir seit Jahren anprangern“, sagt Tenhagen und weist darauf hin, dass dieses Problem auch in der Rürup-Kommission zus Sanierung der Sozialsysteme behandelt wurde. Es könnte aber sein, dass die Regierung hier demnächst auf Abhilfe sinnt: Im aktuellen Entwurf eines Leitantrags für den SPD-Parteitag findet sich ein entsprechender Passus, formuliert von Sozialministerin Ulla Schmidt (SPD): Wir wollen „gewährleisten, dass die Altersrückstellungen der Versicherten beim Wechsel der privaten Krankenversicherung von den Versicherten mitgenommen werden können“, steht dort.

In Kombination mit den rot-grünen Plänen, das gesamte Krankenversicherungssystem „stufenweise“ in eine Bürgerversicherung umzurüsten und die Privaten in einen offenen Wettbewerb mit den Gesetzlichen zu schicken, dürfte dies noch für mächtigen Ärger mit der Versicherungswirtschaft sorgen. Momentan aber haben alle Vorschläge, die beiden Versicherungssysteme miteinander konkurrieren zu lassen, eher deklamatorischen Charakter: Wie das funktionieren soll, hat noch niemand erzählt.

Die Grünen verweisen hier gerne auf die Schweiz. Allerdings hat die Schweiz in der Krankenversicherung die „Kopfpauschale“: Private und Gesetzliche werden nach einem einheitlichen System bezahlt. In Deutschland wird es die vom Chef der Rürup-Kommission, Bert Rürup, so erbittert verfochtene Pauschale mit Steuerausgleich für Arme jedoch höchstwahrscheinlich nie geben. Das prozentuale Beitragssystem wird für gerechter gehalten, außerdem genießt es in der Bevölkerung traditionell viel Vertrauen und Akzeptanz.

Doch unabhängig davon, „was da an Reformen kommt und ob da überhaupt was kommt“, sagte Tenhagen gestern, „würden wir immer raten: Suchen Sie sich einen optimalen Versicherungsschutz jetzt.“ Zwar, dies gab der Finanztestler zu, trägt jeder Aufruf, sich eine günstigere Versicherung zu suchen, zur „Risikoentmischung“ bei: Junge und Gesunde sind mobil, sie wechseln gerne. Alte und Kranke bleiben dagegen eher, wo sind sind – meistens ist das die AOK. Auch den Schritt von den Gesetzlichen in die Privaten machen in der Regel gesunde Gutverdiener.

Die unterschiedlich hohen Beitragssätze der Kassen haben also mit einem Vorgang zu tun, der „Rosinenpickerei“ genannt wird und von dem bislang vornehmlich die Betriebskrankenkassen profitiert haben. Fair ist das nicht. Es zeigt auch, dass Wettbewerb in einem Gesundheitssystem, in dem Jung für Alt, Gesund für Krank und Single für Familie zahlen soll, kaum funktioniert.

„Es kann aber nicht das Problem des Einzelnen sein, dieses Systemproblem zu lösen“, verteidigte Tenhagen gestern den Kassentest. Für die viel beschworene Solidarität bleibt demnach nur einer zuständig: der Staat.