BERLINER PLATTEN
: Reichlich Lenz in dieser Woche, popliterarisch und in der Zwiesprache mit dem Klavier (weil jetzt halt doch auch Frühling ist)

Nach Großschriftsteller Siegfried Lenz und dem „Lenz“ von Georg Büchner gehört dann doch ein bisschen Mut dazu, mit dem Namen Lenz loszugehen und Musik zu machen. Und tatsächlich: Lenz, das Trio aus Berlin, spielt auf seinem Debütalbum „Augen auf und durch“ etwas, was man wohl literarische Popmusik nennen könnte. Richard Putz ist sicherlich kein Jochen Distelmeyer, aber mit Wörtern weiß er schon recht geschickt umzugehen. „War das für die Ewigkeit?“, fragt er gleich zu Beginn, „oder für alle Zeit? / Gib mir Bescheid“.

Früher, es ist noch gar nicht so lange her, hätte man solche Zeilen vielleicht nicht gleich als Diskurspop eingeordnet, aber sich doch gefreut, dass deutschsprachige Popmusik endlich wieder möglich ist. Heute allerdings kommt einem manche Preziose auf dieser Platte vor wie ein Poesiealbumsprüchlein, aber man darf sich immer noch freuen, dass die Sache mit dem Deutschreimen so selbstverständlich geworden ist.

Ansonsten ist zu hören, dass Putz und seine beiden Mitstreiter Christoph von Knobelsdorff und Markus Jütte nicht mehr die Allerjüngsten sind, bereits eine Vergangenheit in anderen Bands vorzeigen können und auch schon Erfahrungen als Familienväter gesammelt haben. Mit dieser Sachkenntnis im Rücken wissen Lenz, dass sie das Rad nicht mehr neu erfinden können, und sie tun – im Gegensatz zu manchen jüngeren Kollegen – auch nicht so. Nun wirkt ihre Rockmusik auf eine angenehme Weise abgehangen, handwerklich stets sauber und voller Überzeugung unaufgeregt. Als prägende Einflüsse geben die drei neben den Beatles (wohl unvermeidlich) und Coldplay (eher selten zu hören) auch Prefab Sprout (deren federleichte Ironie Lenz leider nur selten aufblitzen lassen) und Supertramp (deren gefürchtetem Perfektionswahn Lenz zum Glück nicht verfallen) an. Sagen wir es mal so: Je höher man sich die Latte legt, desto überzeugender gerät das Scheitern.

Lenz, die Zweite: Die Sängerin Alev Lenz allerdings hat sich – im Gegensatz zu Lenz, der Band – ihren Namen nicht ausgesucht. Ebenso wenig wie eine prägende Jugendzeit zwischen zwei Kulturen. Heute ist Lenz immer noch Deutsch-Türkin, zu hören aber ist das auf „Storytelling Piano Playing Fräulein“ beim besten Willen nicht. Sehr viel deutlicher ist stattdessen der Ort zu spüren, auf dem das erste Album der 26-Jährigen entstanden ist: In New York hat Alev Lenz die technischen Grundlagen aus ihrer Klavierausbildung und ihr improvisatorisches Talent verwandelt in das Versprechen des Albumtitels, eine Geschichten erzählende Pianistin. Vorbild waren dabei die New Yorker Ikonen Regina Spektor und Randy Newman. Nach einem Konzert von Newman wusste sie endgültig, dass das funktionieren kann: Sie und ein Klavier und sonst nichts.

Für das Album wird diese spartanische Besetzung zwar immer wieder mit Bass, Flöte oder Streichern erweitert, aber ganz eindeutig im Zentrum stehen Alev Lenz’ berückend helle Stimme und ihr vorsichtig tastendes Klavierspiel. Wie wundervoll sich die beiden ergänzen, das ist das einzige Thema dieser Platte.

THOMAS WINKLER

Lenz: „Augen auf und durch“ (Noteworksmusic/Alive), ab jetzt als Download, ab Mai als CD Live, Sa., Roter Salon, 22 Uhr

Alev Lenz: „Storytelling Piano Playing Fräulein“ (My Own Record Company/Rough Trade)