Keine Retrospektive
: Asta Nielsen

Eine Retrospektive gab es noch nie beim Filmfest Hamburg, dafür jetzt immerhin eine Hommage. Und die ist mit Asta Nielsen einer der ganz großen Schauspielerinnen des 20. Jahrhunderts gewidmet. „Senkt die Fahnen vor ihr, denn sie ist unvergleichlich“, schrieb Béla Balázs 1923 in einem Aufsatz, in dem er sie als „das einzige absolute Genie der Filmkunst“ bezeichnete. Zu der Zeit war die 1883 geborene Dänin schon seit gut zehn Jahren der größte Star im deutschen Stummfilm. Anders als ihre Kolleginnen konnte sie mit ihrer Mimik nicht nur jeden erdenklichen Gefühlszustand auszudrücken – in ihrem Gesicht spiegelte sich außer dem ganzen Dialog auch immer der Ausdruck des anderen.

Ihren Durchbruch erlangte die „schweigende Muse“ 1910 mit dem noch in Dänemark gedrehten Afgrunden (Abgründe). Regie führte dabei Urban Gad, den sie im Jahr zuvor in Kopenhagen kennen gelernt und geheiratet hatte. Engelein, der wie Die arme Jenny von 1912 beim Filmfest gezeigt wird, war 1913 bereits beider 23. gemeinsamer Film. 30-jährig spielt Nielsen darin eine 17-Jährige, die eine Zwölfjährige mimt. Wie ihr reicher Erbonkel aus den USA (es darf nicht herauskommen, dass sie bereits fünf Jahre vor der Hochzeit ihrer Eltern geboren wurde) nimmt man ihr – von mehr als nur kindlichem Charme verzaubert – die Komödie nur zu gern ab. In vielem hat Gad hier schon den Prototyp jener leichthändig inszenierten Screwball-Comedy kreiert, den Regisseure wie Ernst Lubitsch dann nur noch zu verfeinern brauchten.

Neben den beiden Stummfilmen, die vom Classic Jazz Quartet aus Polen musikalisch begleitet werden, enthält die Hommage auch einen Spiel- sowie einen Dokumentarfilm über Nielsen, beide jüngst von Torben Skjødt Jensen realisiert. The Tenth Muse geht auf eine wahre Begebenheit aus dem Jahr 1964 zurück. Damals brach die Diva die Dreharbeiten zu einem Porträt über sie genau in dem Moment ab, als der Regisseur Lars Schmidt zu kritische Fragen nach ihrer Beziehung zu ihrer Tochter Jesta stellte, welche Selbstmord begangen hatte. Im Film wird Asta Nielsen von der 87-jährigen Vera Gebuhr verkörpert, die ihren Besuch angekündigt hat. Weitere Aufschlüsse über den 1972 gestorbenen Star verspricht The Talking Muse, in dem neben Archivaufnahmen auch neue Einblicke in ihr bislang streng geheim gehaltenes Privatleben gewährt werden. Eckhard Haschen