Am liebsten ohne Behindertenbonus

Bitte keine Mitleidsbekundungen: Europa sucht seine Superstars beim „Song Contest Disabled Artists“ – am Sonnabend in Hamburg

Fern liegt jegliches Buhlen um schonende Behandlung der Auftretenden

Eigentlich wollen sie mit dem, als dessen Aushängeschild sie gelten, längst nichts mehr zu tun haben: Station 17, jene Band, deren überwiegend so genannt geistig behinderte Mitglieder sich 1988 in der Wohngruppe 17 der Evangelischen Stiftung Alsterdorf in Hamburg zusammenfanden. Damals nicht unbedingt abzusehen: Aus dem Arbeitszusammenhang wurde eine Band mit Albumveröffentlichungen und Tourneen, geregeltem Probenbetrieb und richtigen Fans.

Nie im eigentlichen Sinne ein musiktherapeutisches Vorzeigeprojekt – oder gar effekthascherische Freak-Show –, werkelten die Alsterdorfer seitdem in wechselnden Besetzungen, immer wieder unterstützt von namhaften Rock- und Experimentalmusikern. Und eines wollten sie zunehmend nicht mehr entgegengebracht bekommen: einen Behindertenbonus. Irgendwie folgerichtig ist das Mutterschiff Station 17 nicht dabei, wenn sich am kommenden Wochenende im Hamburger Congress Centrum der „European Song Contest Disabled Artists“ zuträgt, mithin wohl der aufwändigste lokale Beitrag zum Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderungen. Immerhin steigen aber die personell verbandelten Station 17 Allstars tba in den Ring ums ausgelobte Preisgeld in Höhe von 4.500 Euro sowie den dazugehörigen Pokal.

Dabei wetteifern die Hamburger mit neun Konkurrenten aus Deutschland und Dänemark, Österreich, Frankreich und Großbritannien, die aus rund 40 Bewerbern ausgewählt wurden. Naturgemäß reicht die musikalische Bandbreite weit: Von HipHop und Theatermusik ist die Rede, von Rock und Folk. Ausdrücklich fern liegt den Veranstaltern, dem deutschen Zweig des Netzwerks für behinderte Künstler Eucrea sowie dem Hamburger Kulturförderungsverein Kunstwerk, jegliches Buhlen um besonders schonende Behandlung der Auftretenden. Bewertet werden die die acht Bands und zwei Einzelkünstler also nach „Gesamteindruck“ ihrer Performance, so Jutta Schubert von Eucrea. Diese Aufgabe kommt einer Jury aus Musik- und Showbranchen-Fachleuten zu, darunter Hitparaden-Soul-Crooner Laith Al-Deen, Viva-Moderator Ill-Yung Kim, Christian Stolberg (Musikexpress), Konzertveranstalter Karsten Jahnke und Frank Dostal, Songtexter und GEMA-Aufsichtsratsmitglied. Durch den erklärt „showmäßigen Abend“ führt unter anderem NDR-Kulturjournal-Moderatorin Caren Miosga.

Bereits am Nachmittag richten die Veranstalter eine Fachtagung zum Themenfeld aus: Der Frage „Musik von geistig behinderten Menschen – Chancen und Hindernisse?“ gehen dabei unter anderem Popcorn-Manager und -Musiker Brian Laurie, Station 17-Manager Micha Abt-Okudzeto, Winfried Janssen (Nordoff-Robbins-Stiftung für Musiktherapie) und Guy Evans, ehemals Musiker bei Van der Graaf Generator, nach. Und der Wunsch nach Vernetzung, und auch darum soll es neben dem Aufspüren etwa des Besonderen der Musik Behinderter gehen, ist ja kein Eingeständnis von erhöhter Hilfsbedürftigkeit. Sondern schlichtweg dringend notwendig, auch für so manchen „gesunden“ Angehörigen der ökonomisch ach so gebeutelten Branche.

ALEXANDER DIEHL

„European Song Contest Disabled Artists“: Sonnabend, 19 Uhr, Congress Centrum Hamburg.Fachtagung „Musik von geistig behinderten Menschen – Chancen und Hindernisse?“: Sonnabend, 14–18 Uhr, CCH. Die Teilnahme ist kostenlos, Anmeldung bei: Kunstwerk, Friedensallee 45, 22765 Hamburg, ☎ 040-390 94 52, info@kunstwerk-hamburg.de)