zwei versionen einer Festnahme wegen Graffiti
: „Ruppig geworden ist mein Ton nicht“

Freispruch für Polizisten

Es ist gerade neun Uhr, die Verhandlung im Saal 769 des Amtsgerichtes Tiergarten hatte eben erst begonnen, da hätte man sie eigentlich schon wieder beenden können. „Es wundert mich, dass sie überhaupt in die Mühlen der Justiz geraten.“ Der Richter blickt den Angeklagten an und runzelt die Stirn. Der Angeklagte Oliver Z., 28 Jahre alt, Beruf Polizeihauptmeister, zuckt mit den Schultern: „Mich auch.“

Was die beiden Männer sich gemeinsam wundern lässt, ist schnell geschildert. Zwei 15-jährige Jungen, Marcel S. und Lukas Z., werden in der Nacht vom 15. auf den 16. Februar 2001 von einer Zivilstreife in Schöneberg aufgegriffen. Für die Polizeibeamten ist klar: Die beiden haben eine Wand mit Graffiti besprüht. Sie befragen die Jugendlichen – und ab da gehen die Versionen auseinander. Laut Marcel S. soll Oliver Z. dabei zu ihm gesagt haben: „Gib es zu, oder ich hau’ dir eine in die Fresse.“ Der heute 18-Jährige klagte wegen Aussageerpressung: „Ich war geschockt.“

Polizeihauptmeister Z. hat naturgemäß eine andere Wahrnehmung: „Wir haben den Jungs zwar einen Tatvorwurf gemacht, aber ruppig geworden ist mein Ton nicht.“

Das glaubt auch die Staatsanwaltschaft – und hakt bei Marcel S. nach: „Sind Sie sich ganz sicher, dass es Herr Z. war, der den Satz sagte?“ „Ja.“ „Wie würden sie denn Herrn Z. beschreiben, jetzt wo er vor ihnen sitzt?“ „Dunkelblonde bis braune Haare …“ „Bei der Nachvernehmung sagten sie aber, der Polizist wäre blond gewesen.“

Der erste einer ganzen Reihe von Widersprüchen, in die sich Marcel S. verstrickt. Auch bei der Frage, wie das Verfahren wegen der Graffitischmierereien gegen ihn ausging, liegt er haarscharf neben der Wahrheit. „Wir sind freigesprochen worden.“ Tatsächlich aber mussten er und sein Freund acht Stunden gemeinnützige Arbeit ableisten. „Gemalt habe ich trotzdem nicht.“ S. faltet die Hände über der Tischplatte und schaut ruhig in Richtung Staatsanwalt.

Insgesamt noch ein guter Auftritt. Besser jedenfalls als der seines Freundes Lukas Z. Dieser ist weniger ruhig. Und auch weniger unschuldig, wie nach einer Belehrung durch den Vorsitzenden Richter klar wird: „Sie können ruhig die Wahrheit sagen. Das andere Verfahren ist abgeschlossen.“ „Na gut, ich habe gesprüht“, sagt Z. und rutscht auf seinem Stuhl hin und her.

Und, nein, den entscheidenden Satz habe er nicht gehört. Dass der Polizeihauptmeister bei seinem Freund stand, will er „situationsbedingt erkannt“ haben. Während die Selbstgewissheit des Zeugen Z. bei jeder Frage schrumpft, wachsen gleichzeitig die Zweifel an den Aussagen seines Freundes.

„Freispruch, weil der Tatbestand nicht erhärtet werden konnte“, stellt das Gericht schließlich in seinem Urteil fest.

Es ist gerade elf Uhr geworden, als die Verhandlung offiziell beendet ist. Inoffiziell hat sie nie begonnen. RUDI NOVOTNY