Machtübergaben

George W. Bushs Desaster im Irak eröffnet auch Chancen – wenn die internationale Gemeinschaft die von den USA installierte Übergangsregierung klug behandelt

Saddams Diktatur hat die Zivilgesellschaft ausgelöscht – auch deshalb ist die Lage so schwierig

Der Irakkrieg ist gewonnen, aber vor der Nachkriegsordnung hat Washington de facto kapituliert. Es gibt kaum mehr etwas daran zu rütteln, dass die USA im Irak gescheitert sind. Statt, wie angekündigt, eine Insel der Stabilität zu schaffen, von der aus sich US-Interessen in der ganzen Region durchsetzen lassen, scheint die US-Armee im chaotischen Irak mehr und mehr den Überblick zu verlieren.

Manche mögen hämisch bemerken, dass wir ja schon immer gesagt haben, dass es so kommen wird. Aber das reicht nicht. Auch der französische Vorschlag ist unrealistisch, im gegenwärtigen Irak innerhalb eines Monats eine Regierung und bis Ende des Jahres eine Verfassung schaffen zu wollen und nächstes Frühjahr Wahlen auszurufen. Früher wurden die USA zu Recht davor gewarnt, bei ihrer Kriegsplanung die Zeit nach dem Krieg auszusparen. Nun muss genauso darüber nachgedacht werden, was nach der Besatzung geschieht.

Die konkrete Frage heute lautet: Wie soll der Übergangsprozess organisiert werden und wie geht man mit der jetzigen provisorischen irakischen Regierung um? Es ist kein Geheimnis, dass diese ein von den US-Besatzern bestimmtes Gremium ist. Genauso sicher ist, dass die USA alles daran setzen, dass dieses Gremium international anerkannt wird, um der Besatzung ein legales Gesicht zu geben.

Dennoch wäre es ein Fehler, die irakische Übergangsregierung politisch zu ignorieren. Nach über zwei Jahrzehnten Saddam’scher Herrschaft, die jegliche politische Organisation im Keim erstickt hatte, ist der Irak politisch ein totes Land. Die Zivilgesellschaft, die den politischen Prozess tragen könnte, gibt es nicht – ebenso wenig wie ernst zu nehmende politische Parteien mit Programmen, die Pläne für den gesamten Irak entwerfen.

Deshalb bleibt die jetzige Übergangsregierung der Schlüssel, um jenseits der Besatzer von außen auf die irakische Politik Einfluss zu nehmen. Diesen Sachzwang hatten auch die arabischen Länder erkannt, als sie letzte Woche durch die Arabische Liga begannen, schweren Herzens mit der irakischen Übergangsregierung zusammenzuarbeiten. Damit haben sie erstmals offiziell dem alten Regime Saddams die Legitimität abgesprochen. Gleichzeitig haben sie eingeräumt, dass sie mit ihrer Debatte über die Legitimität des Irakkrieges und der Besatzung in der täglichen Politik nicht weiterkommen. Sie haben die von den USA geschaffenen Fakten akzeptiert, aber nicht gerechtfertigt und suchen nun nach einer Strategie, damit umzugehen. Dabei steht der neue Kontakt zu der provisorischen irakischen Regierung im Zentrum. Nicht mit dieser zusammenzuarbeiten hieße, den Besatzern im Irak uneingeschränkt das Feld zu überlassen.

Gewiss: Die US-Verwalter sehen in der irakischen Übergangsregierung ein Werkzeug ihrer Besatzung. Doch das schließt nicht aus, dass sich diese Regierung künftig in eine Alternative zur Besatzung verwandeln kann, die sich Schritt für Schritt ihre Unabhängigkeit erkämpft und die Besatzung täglich mit der Frage konfrontiert: Wer hat in diesem Land eigentlich das Sagen?

Der Irak braucht jetzt ein Instrument, in dem sich der Widerstand gegen die Besatzung, jenseits des selbstzerstörerischen militärischen Widerstands, politisch kanalisieren kann. „Gebt uns eine politische Alternative zum militärischen Widerstand“ war eine fast schon flehende Forderung, die ich bei meinem letzten Irakbesuch immer wieder zu hören bekam.

Diese Woche steht der Irak auf der internationalen Tagesordnung, wenn sich Bundeskanzler Gerhard Schröder, der französische Präsident Jacques Chirac und der britische Premier Tony Blair erstmals seit der Spaltung Europas über den Irakkrieg in Berlin zu einem Dreiergipfel treffen. Auch ein weiterer UN-Resolutionsentwurf ist in Diskussion, in dem der UN-Sicherheitsrat Stellung zu der US-amerikanischen Forderung beziehen muss, Truppen aus anderen Ländern in den Irak zu schicken und internationale Finanzhilfe für den besetzten Irak zu leisten.

Der Zeitpunkt, den USA etwas abzutrotzen, ist günstig. Zwar will Washington in alter Besatzermanier möglichst den gesamten politischen Prozess im Irak kontrollieren und ist keineswegs bereit, diesen Prozess im Moment an die UNO zu übergeben. Doch gleichzeitig sucht Washington nach einem Ausweg, um ohne großen Gesichtsverlust wieder aus dem irakischen Abenteuer herauszukommen. Dafür braucht die Regierung Bush dringend internationale Unterstützung.

Die Stärkung der irakischen Übergangsregierung – und dies nicht im Dienste der Besatzer – sollte daher eine zentrale Forderung sein. Sie sollte nicht, wie von den USA gefordert, automatisch international anerkannt werden. Stattdessen sollte ihr die Hand zur Zusammenarbeit in einer Art Junktim gereicht werden: „Je mehr Macht die irakischen Übergangsgremien jenseits der Besatzer bekommen, umso mehr arbeiten wir mit ihnen zusammen.“

Es ist sinnlos, mit einer irakischen Behörde zu kooperieren, die nichts zu sagen hat. Da könnte man gleich beim US-Präfekten Paul Bremer anklopfen. Es ist auch wenig fruchtbar, wenn diese Behörden keine Exekutivgewalt haben, mit einer Polizei, die von den Besatzern offensichtlich kaum ernst genommen wird. Wie sonst lässt es sich erklären, dass US-Truppen letzte Woche in der Kleinstadt Falludscha aus Versehen eine Stunde lang eine Gruppe irakischer Polizisten trotz deren wiederholten Rufen, sie seien Polizisten, unter „freundliches Feuer“ nahmen. Acht irakische Gesetzeshüter starben. Der gestohlene BMW, den sie verfolgt hatten, entkam. Dieser Vorfall bezeugt, wie wenig Respekt die US-Truppen vor jenen Institutionen haben, denen sie angeblich eines Tages die Macht übergeben sollen.

Die provisorische Regierung kann sich von den USA emanzipieren und selbstständiger Akteur werden

Für die Zukunft des Landes ist es entscheidend, dass die irakischen Institutionen einen Spielraum bekommen, in dem sie auch ohne ständiges Abnicken der Besatzer agieren können. Nur dann werden sie ihr Image der Kollaboration abstreifen können. Die politische Vergrößerung ihres Spielraumes könnte sich sogar zum Kern des Widerstands gegen die Besatzung entwickeln. Das wäre dann das wichtigste Konkurrenzprojekt zu Saddams Gefolgsleuten und den von allerorten angereisten heiligen Kriegern, die im Moment nur deshalb so erfolgreich sind, weil sie den Widerstand für sich monopolisiert haben.

Es ist eine Illusion, dass US-Präsident George Bush eines Tages auf dem Flughafen in Bagdad landen wird und den Irakern verkündet: „Morgen habt ihr euer Land wieder.“ In der Historie wurde bei jeder Machtübergabe um die Macht gerungen – das ist im Irak nicht anders.

Um sich gegen die Besatzung durchzusetzen, brauchen die neuen irakischen Gremien internationale Unterstützung. Um hier eine positive politische Dynamik zu schaffen, sollte diese allerdings an eine einfache Bedingung geknüpft sein: „Je unabhängiger von der Besatzung, umso mehr Hilfe von außen.“

KARIM EL-GAWHARY