Küsse und Staatsgewalt

Rayk Wieland schrieb einen wunderbar leichten DDR-Roman

Dieses Buch wird weder als ultimativer Wenderoman gehandelt werden (Ingo Schulze) noch den Buchpreis bekommen (Uwe Tellkamp) – und würde es verfilmt, dann hätte es wahrscheinlich weder Chancen auf eine Handvoll Bambis („Goodbye, Lenin!“) noch auf den Oscar („Das Leben der anderen“). Rayk Wielands Roman „Ich schlage vor, dass wir uns küssen“ ist weder nostalgisch oder moralisch noch monumental oder neunmalschlau, und darum ist es vielleicht eines der besten Bücher, das in letzter Zeit über die DDR geschrieben wurde. Es ist leicht und lustig, es hat den Zauber des Dranvorbeigehens, um es mit Max Goldt zu sagen, und quasi aus dem Augenwinkel betrachtet sieht man sie plötzlich einmal wieder so klar wie schon lange nicht mehr, diese seltsame DDR.

Rayk Wielands Roman handelt von der Belanglosigkeit von Staatsgewalt im Allgemeinen – und im Besonderen, wenn man gerade zwanzig ist, höllisch verliebt, irgendwas studiert, gern Bier trinkt, Geld verspielt, von dem man sich nichts kaufen kann, und am liebsten mit einem stadtberühmten Zonenkriminellen im Lada nach den imaginären Anweisungen einer Beethoven-Sinfonie kreuz und quer durch die Republik kurvt. Die große Politik hat in Szenarien wie diesen nichts verloren, ganz egal, wie sie gestrickt ist und wie sehr sie manchem geschadet haben mag. Und die Behörde namens Staatssicherheit hatte womöglich schon eine Ahnung von ihrem eigenen Untergang, denn bisweilen verlor sie völlig die Orientierung und schoss mit Kanonen auf Chimären.

Die Geschichte ist grob gesprochen die, wie sie schon Udo Lindenberg in den Achtzigerjahren besang, nur, dass es hier nicht um ein Mädchen aus Ostberlin geht, sondern um einen Jungen – und um ein Mädchen aus München, die „wollen doch einfach nur zusammen sein, vielleicht auch mal etwas länger, vielleicht auch mal etwas enger“. Liane schreibt ihm schöne Briefe, W. schreibt ihr noch schönere Gedichte, und als die Mauer fällt, ist die Romanze schnell vorbei, denn das Glück, wie die beiden ganz zu Recht feststellen, lässt sich nur festnageln, wenn man es schwungvoll aus dem Fenster schmeißt.

Zwanzig Jahre später bekommt W., der wahrscheinlich nicht wenige Züge seines Autors trägt, einen Anruf. Er wird gebeten, an einem Symposium zu „Nebenwirkungen und Risiken der Untergrundliteratur der DDR“ teilzunehmen, und weil sein Erinnerungsvermögen zunächst einmal aussetzt, legt ihm die nette Dame vom „Verein der unbekannten Untergrunddichter Deutschlands“ nahe, Akteneinsicht bei der Gauck-Behörde zu beantragen. Gesagt, getan, W., der schon lang nicht mehr an die DDR gedacht hat, muss entdecken, dass seine Briefe an Liane abgefangen und als staatsfeindlich eingestuft wurden.

Gut, dass es nun dieses Buch gibt, denn diese Gedichte sind viel zu hübsch, um nur von einer Person zur Kenntnis genommen zu werden. Schön auch die Schilderung des Mauerfalls, als alle aus dem Häuschen sind, alle außer W., denn W. weiß ganz genau, dass sich seine hochromantische Brieffreundschaft vielleicht nicht wird in die Wirklichkeit übertragen lassen. Während sämtliche Gäste in der Lotus Bar eilig Richtung Übergang Bornholmer Straße aufbrechen, bleibt er zum Ärger der Kellner einfach sitzen und bestellt noch einen Cuba Libre. SUSANNE MESSMER

Rayk Wieland: „Ich schlage vor, dass wir uns küssen“. Verlag Antje Kunstmann, München 2009, 207 Seiten, 17,90 Euro