Fabian

Klingeln im Ohr

Melodielinien, die ihn überallhin verfolgten. Sie säuselten aus den Transistorradios, die in den Wohn- und Schnellküchen standen, sie dröhnten aus flanierenden Sportwagen, knisterten aus den Ohrstöpseln der Passanten. Verfolgt von „Che Sera Sera“ und „Le Ciel Dans Une Chambre“.

Fabian hatte ein Fiepen im Ohr. Er ging durch die Annenstraße in Richtung der prächtigen Plattenbauten und dachte nach. Das Fiepen war gleichmäßig laut, manchmal leise. Es klang, als ob ein riesiger Kühlschrank angesummt käme. Manchmal klang es auch wie das Echo eines alten Modems, dann wie ein Fernseher ohne Bildempfang. Vielleicht waren es die zahlreichen Ströme und Funkwellen, die sein Hirn aufgeschnappt hatte und nicht mehr vergessen konnte. Jeder kleine Impuls wird ja inzwischen zu Musik gemacht, überall surrte es, immerwährende Störgeräusche, die sich in den Zellen spiegelten, sein Ohr spielte ihm das Echo eines brummenden Kühlschranks vor.

Er kehrte links in die Köpenicker Straße ein. Er brachte eine Sendung zur Post. Die Postbeamtin trug die Baseballkappe der Yankees. Fabian lächelte sie an. Die Postbeamtin war allein in der kleinen Filiale, jedenfalls schien es so, im Hintergrund lief leise ein Transistorradio. Man hörte Agnetha und Frida die Zeile „afraid of a love affair“ singen. Die Frau vor Fabian biss in eine Schallplattenhülle. Dann klingelte sein Handy, das seit neustem die Melodie von „Intimate Secretary“ („This ringing in my ears won’t stop“) von den Raconteurs als Klingelton hat. Am anderen Ende der Leitung meldete sich niemand. Nur ein Meeresrauschen war zu hören, ein Knistern, dann das bedrohliche Brodeln eines verliebten Faxgeräts. Tote Seelen riefen an. Fabian klingelten die Ohren. RENÉ HAMANN