Große Koalition

Große Koalition in Bremen, CDU in Bremerhaven – „da ist nichts mehr passiert“„Scherf würde mich an die Seite nehmen und sagen: Mach’ das nicht mit den Grünen“

aus BremerhavenArmin Simon

Der Lack ist längst ab. Nicht nur bei der „Al Zahraa“, dem irakischen Frachter, dem vor 13 Jahren das UN-Embargo zum Verhängnis wurde und der seither im brackigen Hafenwasser vor sich hin rostet. Auch in Bremerhaven selbst liegt einiges im Argen. Jeder Zehnte lebt hier von Sozialhilfe, 19,3 Prozent Arbeitslose zählten die Statistiker im August. Das ist westdeutscher Rekord. „Fischtown“, wie die Bremer Exklave an der Wesermündung auch genannt wird, braucht den Vergleich mit ostdeutschen Notstandsgebieten nicht zu scheuen.

Die „Al Zahraa“ hat ihre Zukunft verpasst. Auf sie wartet nur noch die Schrottpresse. Bremerhaven dagegen sieht sein Tief schon hinter sich. Die Stadt, der Psychologen die höchste Selbstmordrate unter bundesdeutschen Großstädten nachsagen, die seit dem Werftensterben für viele vom Boomtown im Norden zum Armenhaus der Republik mutierte, will endlich das Ruder herumreißen. In letzter Minute.

Garant dafür ist in den Augen vieler eine große Koalition. Eine solche hat in der Bremer Bürgerschaft, dem Landtag, seit 1995 das Sagen und ist dort erst im Mai bestätigt worden. So soll es übernächsten Sonntag auch in Bremerhaven sein – allen Vorwürfen von großkoalitionärem Doppel-Filz zum Trotz. „Ganz billig“ habe sich die CDU von der SPD ins Boot zerren lassen, schimpft etwa der scheidende Grünen-Fraktionschef Hans-Richard Wenzel: Jeder Posten werde einfach doppelt besetzt. Das „Schulterklopfsystem“ ersticke seither jede politische Debatte, klagt Kollegin Anke Krein. Vier Jahre lang habe jede Beschlussvorlage völlig unverändert die parlamentarischen Ausschüsse passiert. „Das frustriert“, sagt Krein, die wie ihre beiden Kollegen jetzt das Handtuch geworfen hat und nicht mehr antritt.

Zehn Prozent oder mehr haben sich die Seestadt-Grünen für die Kommunalwahl vorgenommen. Völlig utopisch ist das nicht. An eine Regierungsbeteiligung glaubt trotzdem niemand im Parteibüro. „Es gibt zwar keine Aussage für eine große Koalition“, sagt Wenzel. „Aber jeder weiß, dass es so kommen wird.“

So deutlich drückt sich SPD-Parteichef Siegfried Breuer nicht aus. Über die Koalition wird nach der Wahl entschieden, lautet die Sprachregelung. Breuer aber kennt seinen Landesvorsitzenden und Regierungschef in Bremen. Option Rot-Grün? „Henning Scherf würde mich an die Seite nehmen und sagen: ‚Mach’ das nicht mit den Grünen.‘“

Bremerhaven könnte noch andere Gründe finden, es sich mit Bremen nicht zu verscherzen. Fischtown hängt am finanziellen Tropf der großen Schwester 60 Kilometer stromaufwärts. 18 Prozent der Bevölkerung des Landes Bremen leben in Bremerhaven. Etwa genauso viel der Landeseinnahmen, so die Abmachung, fließen dorthin – in diesem Jahr rund 42 Millionen Euro. Dazu kommt der kommunale Finanzausgleich: Über 35 Millionen Euro erhält die Seestadt, weil ihr Steueraufkommen so viel niedriger als das der Stadt Bremen liegt. Und bis 2005 gibt’s nochmals 4,8 Millionen Zuschuss pro Jahr.

Abhängig von Bremen ist Fischtown aber auch in politischer Hinsicht. Jedes Projekt, das mit Landesmitteln gefördert werden soll, muss in Bremen nochmals durchgeboxt werden – mit Bremer Stimmen. Als 1997 die erste große Koalition in Bremerhaven geplatzt war und die CDU mit einer rechten SPD-Absplitterung eine Minderheitsregierung unter Duldung der DVU führte, „da ist gar nichts mehr passiert“, sagt Juso-Vorsitzender Elias Tsartilidis: „Der Draht nach Bremen war nicht da.“

Richtig rund, behauptet Tsartilidis, sei es erst mit der großen Koalition wieder gegangen. Beispiel Innenstadt-Sanierung: 70 Millionen Euro hat Bremen dafür locker gemacht, Bremerhaven sich davon ein Pflaster aus gelbem chinesischem Granit, Glasdächer und blaue Lichtbänder für seine Fußgängerzone geleistet. „Ein 900 Meter langes Lächeln“ wirbt die Stadt jetzt. Der Streit über die Führung der Busse dauerte drei Jahre: Die SPD wollte sie drinhaben in der Einkaufsmeile, die CDU draußen. Was herauskam, verspottet FDP-Mann Willy Wedler als „den in Beton gegossenen Kompromiss der großen Koalition“: Die Busse fahren erst mitten durch die Straße, dann parallel dazu.

Vom Edelpflaster halten weder FDP noch Grüne viel. 350.000 Euro kostet die Reinigung jedes Jahr, die Flecken auf den offenporigen Steinen nehmen trotzdem zu. Eine attraktive Innenstadt hätte man auch für die Hälfte haben können, sagt Grünen-Fraktionschef Wenzel. FDP-Mann Wedler prophezeit den „Rückbau in 10 Jahren“.

So weit denken die großen Koalitionäre derzeit noch nicht. Ihre Marke ist 2005 – da soll die „Sail“ in Bremerhaven steigen. Und die Seestadt beweisen, dass sie sich vom schiffeschweißenden Schwerindustriestandort zum veritablen Touristenziel gemausert hat. Die Erlebnisgastronomie in den Historik-Hallen am Fischereihafen hat ihren Anklang schon gefunden. Am Alten und Neuen Hafen soll bald der Zoo in neuem Glanz erstrahlen, gleich nebenan ein „mediterranes Einkaufszentrum“, ein „Klimahaus“, ein Hotel im Dubai-Stil entstehen, eine Marina zum Wohnen am Wasser mit Boot einladen. Staatsinvestitionen insgesamt: rund 300 Millionen Euro.

Auch die Hochschule expandiert. Dieses Semester verzeichnete sie einen neuen Bewerberrekord, Lebensmitteltechnologie und maritime Wissenschaften sollen zum Schwerpunkt werden. „Die Karriere beginnt im hohen Norden“, wirbt ein Banner. Weiter geht sie aber vorerst anderswo. „Wir können die Leute erstklassig ausbilden“, sagt FPD-Mann Wedler. „Aber wir haben keine Arbeitsplätze für sie.“ Trotz staatlich finanzierter Gründerzentren: Wer was werden will, sieht zu, dass er den Absprung schafft.

Lange brauchten die Bremerhavener Koalitionäre, um überhaupt einen Anschein von Wahlkampf zu erwecken. Einfach ist das nicht. CDU wie SPD listen die auf den Weg gebrachten Projekte auf, versprechen mehr Investitionen und mehr Arbeitsplätze. Außer in der Bildungspolitik, wo die Entscheidungen noch ausstehen, herrscht große Einigkeit.

Das Wahlvolk aber ist müde. Oder gelangweilt von soviel Gemeinsamkeiten. Gerade SPD-Wähler haben sich mit der Vorherrschaft ihrer Partei derart abgefunden, dass sie es gar nicht mehr für nötig halten, zur Wahl zu gehen – schon gar nicht, wenn das Ergebnis „große Koalition“ schon vorher feststeht. Nicht ohne Grund hat sich die CDU bisher immer gegen eine Zusammenlegung der Kommunalwahl mit der Bürgerschaftswahl ausgesprochen. Bei sinkender Wahlbeteiligung nämlich, so die landläufige Prognose, profitieren eher die Rechten. 2.500 Stimmen reichten der DVU 1999 für drei Sitze in der Stadtverordnetenversammlung, weil nur gut die Hälfte der Wahlberechtigten zur Urne ging. Ähnliches könnte sich am 28. wiederholen, befürchten viele – nicht gerade ein positiver Imagefaktor für die Stadt.