Ruhrstadt erst nach der Altersgrenze

Geht es nach dem Essener Oberbürgermeister Wolfgang Reiniger bleibt das Ruhrgebiet, was es ist: Eine polyzentrische Stadtlandschaft, die in zehn oder zwanzig Jahren rund um Essen ihr Kernzentrum gebildet hat

ESSEN taz ■ Wolfgang Reiniger steckt in einem Zielkonflikt. Einerseits möchte der Essener Oberbürgermeister auch nach den Kommunalwahlen weiterhin das höchste Rathausamt bekleiden. Doch dann droht dem christdemokratischen Juristen der Entzug seiner Notar-Zulassung. Wie Reiniger gestern vor Parteifreunden erklärte, fordert das Justizministerium bei einer zweiten Amtszeit sein Notarspatent zurück. Er dürfe es aber wieder neu beantragen. „Dann komme ich in die Essener Warteschleife“, die betrage elf Jahre. Frühestens 2020 könne er also wieder als Notar arbeiten: „Doch dann bin ich 76 und habe die Altersgrenze weit überschritten“, lachte Reiniger.

Von den Tücken der Staatskunst handelte dann auch sein Vortrag vorm CDU-Wirtschaftsrat: „Ruhrstadt – Vision oder Illusion?“ Ganz Rechtsgelehrter widmete sich Reiniger den „Kardinalfehlern“ der jüngeren Ruhrgebietsgeschichte und den Mühen der Ruhrreform. Das bisschen Vision ging unter im Essensgeklapper.

Für Reiniger kämpft das Ruhrgebiet mit zwei Problemen: Trotz Strukturwandel seien die altindustriellen Flächen blockiert worden, man habe zu lange auf Großansiedlungen „a là Opel in Bochum“ gehofft. Zweitens leide das Gebiet unter der fehlenden administativen Einheit.

Die Landesregierung habe dem Siedlungsverband in den 1970er Jahren „die Beine abgehackt“. Die regionale Planungskompetenz sei den drei Regierungsbezirken übertragen worden. Erst jetzt ändere sich etwas – aus dem schwachen Kommunalverband Ruhrgebiet wird der Regionalverband Ruhr (RVR). Reiniger versprach vor den betuchten Parteifreunden, „das Beste“ aus dem RVR machen zu wollen.

Doch zuvor setzte es Kritik: Das RVR-Gesetz sei „mit heißer Nadel“ gestrickt worden; besonders „abenteuerlich“ seien die Fristen. So soll die Trägerschaft der Route der Industriekultur bis Ende 2005 vom Land auf den neuen RVR übergehen. Doch finanziell sei das noch ungeklärt – die Zeche Zollverein sei eine Obliegenschaft des Landes auf dem Gelände der Landesentwicklungsgesellschaft. Auch bezweifelte Reiniger, dass sich für die RVR-Posten tatsächlich „Topleute“ finden werden. Christa Thoben, die ab Oktober als Übergangsbeauftragte fungiert, müsse eine „Überzeugungstäterin sein, dass sie zu solchen Bezügen zusagte.

Zu den neuen Planungsinstrumenten des RVR wie den regionalen Masterplänen für Verkehr oder Freizeit und den interkommunalen Flächennutzungsplänen äußerte sich Reiniger positiv. Die Verantwortlichen der Stadt Essen hätten sich bereits mit Mülheim, Oberhausen, Gelsenkirchen, Bochum und Herne zusammen gesetzt – auch Bottrop überlege, dem neuen Stadtnetz beizutreten.

Statt der Vision Ruhrstadt glaubt Reiniger an die Stadtregion, dem Gebiet fehle das „unstrittige Zentrum“, dass sich Reiniger aber doch ausmalte: „Ich setzte auf ein zusammen wachsendes mittleres Kern-Ruhrgebiet, das sich in 20 Jahren als Ruhrstadt begreift.“ Nach der Altersgrenze.CHRISTOPH SCHURIAN