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: Was in Berlin wirklich fehlt, ist ein Kosenamenforscher

Ey Karin, alte Augenweide

Zu schade, dass ich kein kleines Mädchen kenne, zu dem ich „Fräulein Gernegroß“ sagen kann. Es gäbe bestimmt eine Menge Situationen, in denen man dem Mägdelein leutselig und tantenhaft auf den Kopf patschen und dazu „Das ist noch nichts für dich, Fräulein Gernegroß“ oder „Na da musst du wohl noch etwas warten, Fräulein Gernegroß“ flöten könnte, zum Beispiel an der Kinokasse oder wenn das Mädchen mit großen Augen zuguckt, wie man einen riesigen Eierlikörbecher vernascht.

Auch andere Kosenamen gehen mir leider selten über die Lippen: „Meine Sonne“, was der Filialleiter meines Plus-Ladens vor ein paar Jahren mal mit einem neuköllnerisch-frivolen Unterton zu einer seiner Angestellten sagte, finde ich ebenfalls in den meisten Fällen unpassend. Außerdem klingt es, wenn eine Frau es benutzt, ein wenig nach esoterischen Zusammenhängen, einer spiritistisch angehauchten Mädchenschule in einer unwegbaren Region Indiens vielleicht, in der eine alte, weise, weiße Lady seit 1970 hochbegabte, arme Mädchen unterrichtet, und ihr Lieblingskind darf hin und wieder das Plus-Filialleiter-Kosewort genießen: Dein Aufsatz über die Kraft der Steine hat mir sehr gut gefallen, meine Sonne!

„Ey Karin, alte Augenweide!“, hörte ich mal jemanden am Hermannplatz eine 50-jährige, im psychedelischen Hausfrauenkittelmuster gewandete Dame mit kronleuchtergroßen Ohrringen ankumpeln und wurde sofort sehr neidisch. Etwas weniger neidisch bin ich dagegen auf eine Familie in meinem Bekanntenkreis, in der sich sämtliche Mitglieder „Muschi“ nennen, unabhängig von Geschlecht, Alter oder dem Beisein anderer. Andererseits ist „Muschi“ natürlich immer noch besser als die verdammungswürdigen Kosenamen, die mit weißem Zuckerguss auf diese trockenen Lebkuchenherzen geklebt werden, die erschreckend bald wieder von Weihnachtsmarktständen baumeln.

Warum das Lebkuchenherz noch nicht als Trend-Accessoire entdeckt worden ist, wundert mich ohnehin: Man könnte sich schließlich hervorragend „Adidas“ oder „T Com“ in der Zuckerschreibschrift darauf vorstellen oder auch, wenn es ein Weihnachtsmarkt im Prenzlberg ist, „The Strokes“ oder „Kitty-Yo“ oder irgendwelche hippe Szenescheiße.

Doch zurück zu den Kosenamen. Angeblich gab es mal einen Kosenamenforscher, das erzählte mir eine uralte Dame, der die linguistische Herkunft jener Worte untersuchte und die größte Sammlung sein Eigen nannte. Leider erinnerte sie sich nicht mehr an wirklich außergewöhnliche Exponate, nur an „Nusselkernchen“ (vielleicht an Weihnachten sinnvoll), „Püppi“ und „Schnuppeltiger“. Auch die linguistischen Erkenntnisse konnte die alte Dame nicht mehr erinnern, der Vorgang spielte sich nämlich vor weniger als zwanzig Jahren ab.

Es fällt mir als Laien-Linguistin aber auf, allein schon an dieser kleinen Auswahl, dass Kosenamen in vielen Fällen etwas gemein zu haben scheinen: Konsonantenverdoppelung in Zusammenhang mit dunklen Vokalen (Augenweide und Gernegroß mal großzügig nicht beachtet). Man könnte, um eine weitergehende Einsicht daraus zu gewinnen, jetzt natürlich schließen, dass Vornamen wie „Jupp“ oder „Otto“ also von vorneherein etwas Positiv-Kosendes innewohnt, im Gegensatz zu Namen wie „Reginald“, „Lara“ oder „Helen“. Alle spielen mit Jupp, keiner mag Reginald. Aber gibt es nicht mindestens einen vergessenswürdigen Otto in unser aller kollektivem Gedächtnis? Joladei-hiti? Außerdem sei daran erinnert, dass der Konsonantenverdoppelung plus dunklem Vokal allein schließlich noch lange keine Zärtlichkeit innewohnt, oder, um ein unbekanntes, an dieser Stelle nicht wirklich angebrachtes Sprichwort zu zitieren: Goldkettchen und Blumenstrauß / machen nicht die Liebe aus. Dafür gibt es viel zu viele dumme Dussel auf der Welt.

JENNI ZYLKA