Schwierig zu verstehen

Literaturfestival I: Lieber Äthiopierin als ein Mann. Zhang Jie, feministische Autorin aus Peking, stellte umringt von vier Betreuerinnen im Podewil einen Roman über drei Generationen von Frauen vor

von HELMUT HÖGE

Die 66-jährige Schriftstellerin Zhang Jie spielt in China eine ähnliche Rolle wie in der DDR Christa Wolf, und so ist auch ihr Umgang mit den Massenmedien: sehr zurückhaltend. Berühmt wurde sie durch ihren Roman „Schwere Flügel“ (1981), in dem es um die Kämpfe zwischen „Modernisierer“ und „Bedenkenträger“ in einem Industrieministerium geht. Ihr nachfolgendes Buch „Die Arche“ handelt von drei geschiedenen Frauen, die in einer Wohngemeinschaft zusammenleben. „Abschied von der Mutter“ (2000) thematisiert die Beziehung zu ihrer eigenen Mutter und deren Tod. Autobiografisch ist auch ihr letztes dreibändiges Werk „Das stumme Herz“ – über drei Generationen von Frauen.

Auf ihrer Lesung im Literarischen Salon von Britta Gansebohm – vorgestern im Podewil –wurde die hierzulande als Feministin geltende Autorin von ihrer Übersetzerin Eva Müller, einer Betreuerin, einer Dolmetscherin und einer Vorleserin flankiert. Trotzdem oder gerade wegen dieses sprachlichen Begleitschutztes fiel es schwer, ihr zu glauben. Das hängt mit dem Unterschied zwischen der chinesischen und der deutschen Schriftsprache zusammen, der unsere Sinologen oft veranlasst, das fremde Denken und Empfinden dem hiesigen Leser dadurch näher zu bringen, dass sie die Sprache in einen bekannten – literarisch ausgewiesenen – Jargon kleiden. So spricht in Mao Duns Schanghai-Roman „Zwielicht“ ein junger, schneidiger Kuomintang-Offizier im Salon genauso abgehackt wie die preußischen Offiziere bei Theodor Fontane. Und die blutjunge Pekinger Autorin Mianmian redet in ihrem Kurzroman „Lalala“ wie die Teenager in den angesagten Berliner Clubs …

Aber Missverständnisse sind dazu da, um ausgeräumt zu werden. Darum bemühte sich die Riege der Intelligenzlerinnen um Zhang Jie an diesem Abend nach besten Kräften. Trotzdem wirkt es immer seltsam, wenn die Hauptperson entweder stumm ist oder nicht zu verstehen, weil sie Chinesisch redet. Sie lächelt vornehm und lässt uns sozusagen aus dieser Ferne ausrichten: Zwischen dem Horizonte-Festival in Berlin 1989 und den jetzigen 3. Asien Pazifik Wochen habe sie viele Menschen verloren. Einige sind gestorben, Freundschaften sind zerbrochen, und auch ihre Gesundheit hat sie verlassen. Geblieben sei ihr die Literatur.

Woraufhin sie auf ihr letztes, „zweifellos bestes“ Werk zu sprechen kommt: „Das stumme Herz“, von dem in China bereits 70.000 Exemplare verkauft wurden und für das sie drei Literaturpreise bekommen habe. Von da aus liebäugelte sie kurz mit dem von der Kulturrevolution bekämpften Geniebegriff (mit ihrer „Begabung“), um sodann quasi auf das Gegenteil zu sprechen zu kommen: Dass die Literatur in der Krise sei, weil im Zuge der Globalisierung die Ideale („Helden, Bewegung, Turbulenzen, Leichen und Leidenschaften“) abhanden gekommen seien: „Es wird keine edlen Schriftsteller mehr geben, nur noch gute!“ Die Literatur drohe der Unterhaltung zu „verfallen“, aber es sei mit ihr nicht so wie bei einem Straßenmädchen: „Sie ist schwierig zu verstehen.“ Dazu konnten wir, die Zuhörer, nur stumm nicken.

Zhang Jie kuckte über ihre Brille hinweg in unsere erwartungsvollen Gesichter – und erinnerte sich prompt an Afrika: Es sei nämlich sehr bedauerlich, dass dieser Kontinent vor 2 Millionen Jahren vom Festland weggedriftet sei – und damit auch von China, wodurch ihr zum Beispiel die Gelegenheit genommen wurde, eine Äthiopierin zu sein. Die Männer sind demgegenüber kontinentübergreifend identisch, das heißt von Übel und eher „wie Tiere“. Da war sich der Salon endlich nahezu einig, zumal Zhang Jie dazu eine Passage aus ihrer Familientrilogie vorgelesen hatte, in der die Tochter zusah, wie der Vater die Mutter schlug, mit heißen, nassen Wäschestücken.