Bürgerschaft falsch besetzt

Ein SPDler aus Bremerhaven weniger, ein Grüner aus Bremen mehr – das wäre die Sitzverteilung in der Bremer Bürgerschaft, wenn die Ungerechtigkeiten im Wahlrecht korrigiert würden. Die aber sind politisch gewollt. Staatsgerichtshof entscheidet

Bremen taz ■ Die Vertreter aus der Justiz-Behörde und Innenbehörde waren sichtlich um Distanz bemüht. Die Regelung im Bremer Wahlrecht, wonach Bremerhaven 16 und Bremen 67 Abgeordnete in der Bürgerschaft stellt, bevorzugt die Bremerhavener. Ein Bremer Jurastudent hat dagegen geklagt, gestern verhandelte der Staatsgerichtshof. Regierungs-Direktorin Marlies Grotheer-Hünecke stellte klar: Die ungerechte Stimmengewichtung haben SPD und CDU 2001, als sie die Verkleinerung der Bürgerschaft von 100 auf 83 Mandate beschlossen, bewusst in Kauf genommen: „Das war eine politische Entscheidung.“

Die Wilko Zicht so nicht akzeptieren will. Die Argumentation des Jurastudenten: Die von der großen Koalition festgelegte Sitzplatzaufteilung zwischen den beiden Wahlbezirken Bremen und Bremerhaven spiegele nicht das tatsächliche Verhältnis der Wahlberechtigten wieder. De facto sei so bei der Bürgerschaftswahl im letzten Jahr jede (potenzielle) Bremer Stimme 9,5 Prozent weniger wert gewesen als ein Kreuzchen aus Fischtown. Der Staatsgerichtshof müsse das 67:16-Verhältnis im Bremer Wahlgesetz kippen und einen der 16 Bremerhavener Sitze einem Bremer Mandatsträger zusprechen, verlangt Zicht. Das würde die Bremerhavener SPD-Abgeordnete Sybille Böschen ihren Sitzplatz im Parlament kosten und die Bremer Grünen-Abgeordneten Lisa Wargalla, die bisher nur einen Sitz in der Stadtbürgerschaft hat, zu einem vollwertigen Mitglied des Parlaments machen.

Ob der Staatsgerichtshof Zichts Anliegen stattgeben wird, ist indes unsicher. Zwar stellte auch er ein Ungleichgewicht zwischen dem Erfolgswert der Wählerstimmen aus den beiden Schwesterstädten fest. Dieses liegt nach seiner Berechnung, die auf der Bevölkerungsstatistik von 2000 und dem durchschnittlichen Stimmengewicht aller WählerInnen basiert, aber unter fünf Prozent – was vielleicht doch noch tolerabel sei.

Selbst nach dieser Berechnung aber, das zeigt ein Blick in die Statistik, nimmt die Bevorzugung Bremerhavens stetig zu. Grund ist der Bevölkerungsschwund in der Seestadt. Spätestens für die nächste Bürgerschaftswahl, frohlockt Zicht, sei eine Neuaufteilung der Mandate zwischen Bremen und Bremerhaven daher unausweichlich.

Ein Verhältnis von 68:15 hatten auch das Innen- und das Justizressort ursprünglich gefordert – vergeblich. Armin Simon