Im Notfall ruft der Arzt den Arzt

Kritische Mediziner klagen: Krankenhäuser haben für Notfälle viel zu wenige Ärzte in Bereitschaft. Klinikkonzern will dennoch weiter kürzen. Notdienste sollen dann fachfremde Kollegen übernehmen

VON STEFAN KLOTZ

Auf den Krankenhausfluren ist es ruhig. Zu ruhig, findet Cora Jacoby, Ärztin im Klinikum Neukölln. „Die Grenze ist erreicht“, schimpft die Internistin. Denn der landeseigene Klinikkonzern Vivantes will 2005 in seinen neun Berliner Kliniken 400 weitere Stellen streichen. Für Jacoby und ihre Fraktion in der Berliner Ärztekammer, die „FrAktion Gesundheit“, ein Schritt in die komplett falsche Richtung. Denn schon jetzt fehlten den Kliniken Mediziner, die sich für Notfälle bereithalten.

„Wo früher drei Ärzte Bereitschaft schoben, wird das nur noch einer tun“, fürchtet die seit 15 Jahren als Assistenzärztin arbeitende Jacoby. Grund ist das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom vergangenen Jahr, nach dem die Bereitschaftszeit der Ärzte als Arbeitszeit anzurechnen ist. Ein Arzt darf nun nicht mehr 24 Stunden, Bereitschaft inklusive, in der Klinik sein, sondern nur noch 10.

Zur Umsetzung des Urteils in Berlin müssten 2.000 neue Arztstellen entstehen, hatte die Berliner Ärztekammer damals errechnet. Statt diese Lücke zu schließen, wird nur Personal verschoben. „Um die Bereitschaftsdienste zu besetzen, zieht man Ärzte von den Stationen ab, obwohl sie dort benötigt werden“, sagt Jaocby. Da Geld knapp ist, kam vor einem Jahr ein neuer Plan auf den Tisch. Demnach sollen Fachärzte in „fächerübergreifendem Notfalldienst“ auch Notfälle aus anderen Fachgebieten übernehmen. Für Jacoby ist das ein Schreckensbild: „So kann eine schwangere Frau, die einen Kaiserschnitt braucht, von einem Hals-Nasen-Ohren-Arzt operiert werden.“ Das sei ein Extrembeispiel, entgegnet Günther Jonitz, Präsident der Berliner Ärztekammer. Trotzdem teilt er die Bedenken seiner Kollegin: „Die Ärztekammer lehnt den fächerübergreifenden Notfalldienst als unvertretbar strikt ab. Da stirbt das Gesundheitswesen zentimeterweise.“

Der Plan soll laut Jacoby diesen Herbst umgesetzt werden. Öffentlich geht dennoch kaum ein Krankenhausarzt auf die Barrikaden. „Die meisten sind erpressbar, da sie nur befristete Arbeitsverträge haben“, begründet Jonitz das große Schweigen. Auch Cora Jacoby hat schon mal die Kündigung aufgrund ihrer Kritik erhalten. Dennoch schießt sie weiter gegen ihren Arbeitgeber Vivantes.

Bei Vivantes findet man die Kritik auch unangebracht. „Das EuGH-Urteil wird nach Beschluss der Bundesregierung erst 2006 umgesetzt. Bis dahin strukturieren wir entsprechend um“, beschwichtigt Sprecherin Fina Geschonneck. Auch von der Schreckensvision des fächerübergreifenden Notfalldienstes will sie nichts wissen. „Wo ein Gynäkologe gebraucht wird, ist auch ein Gynäkologe“, versichert sie. Vivantes plane die dächerübergreifenden Dienste nur in engem Rahmen. So könne ein Internist die Bereiche der Inneren Medizin, Neurologie und Kardiologie mit abdecken. Bei Bedarf müsse der Dienst Habende dann zwar einen heute noch anwesenden Kollegen erst herbeitelefonieren. Trotzdem verspricht Geschonneck: „Wir retten jeden.“