: Papppaletten als Dämmmatten
Die Drei-Konsonanten-Parabel des Rechtschreibreformdichters Horst Bollstedt
Horst Bollstedt, der weit über seine engere Heimat, den Knarzgauer Winkel, hinaus weltbekannte Dichter, ist einer der wenigen deutschen Schriftsteller, die sich mit der viel diskutierten neuen Rechtschreibung nicht nur anfreunden konnten, sondern sie geradezu in den Mittelpunkt ihres dichterischen Schaffens gestellt haben. Seit der neu entflammten Diskussion über Sinn- oder Unsinn, Not- oder Wendigkeit der reformierten Rechtschreibregeln sind Horst Bollstedts Berichte und Erzählungen aktueller denn je. Um unserer werten Leserschaft die ästhetisch ausgeklügelten Notate des Knarzgauers nahe zu bringen, hier eine seiner jüngsten Parabeln, in der er ein flammendes Bekenntnis zur Erhaltung der Drei-Konsonanten-Regel abgibt:
„Helga F. war ganz der Genusssucht ergeben. Wenn sie ihre Schritte ins Städtchen lenkte, konnte sie selten umhin, den Kammmacher aufzusuchen, und das Mindeste war, dass sie mit einer glitzernden Strassspange im goldenen Haar den Laden verließ. Da ihr Mann Eugen, Fahrer eines Mülllasters, nicht genügend verdiente, um die Extravaganzen seiner Frau bezahlen zu können, sah sie sich gezwungen, die alljährliche Winterschlusssause im örtlichen Karstadt mitzumachen, um sich mit drastisch herabgesetzten Mufffellen oder helllila Ballkleidern im von ihr bevorzugten Tülllook einzudecken. Kaum zu Hause angekommen, riefen meist im Einkaufsgewühle unbemerkte Stofffalten ihre Missstimmung hervor, die auch durch den wolllüstigen Verzehr fetttriefenden Naschwerks nicht gezügelt werden konnte. In solchen Momenten träumte sie dann von einem eigenen Schloss mit Park und einer romantischen Kussszene mit dem jungen Schwimmmeister am Schlosssee oder einer rauschenden Ballnacht im festlich erleuchteten Schlosssaal.
Kaum war ihr Mann jedoch von der Arbeit heimgekehrt, war sie wieder in die schnöde Wirklichkeit zurückgeworfen. Von Eugen war in punkto Romantik nichts zu erwarten, er war ein Mann der Tat, der nichts lieber tat, als heimzuwerken in ihrer beengten Kate. Entschlossen griff Eugen dann zum Rammmeißel und reparierte die defekte Klapppforte im Gartenzaun. Oder er fixierte mit einer Klemmmuffe, manches Mal gar mit einer Klemmmanschette sein Kipppult, auf dem er in seiner karg bemessenen Freizeit schusssichere Passschutzhüllen herstellte. Während sich seine Frau in der Sofagarnitur in Vollleder-Ausstattung rekelte und versonnen das Stillleben über der Anrichte betrachtete, griff Eugen zur Sauerstoffflasche, um endlich den gebrochenen Pressstahlrahmen zu schweißen, der ihm als praktischer Halter für gebrauchte Papppaletten diente. Solche Stresssituationen im Hause F. endeten meist damit, dass Helga die mangelhafte Dämmmattenausstattung ihres Hauses verwünschte und sich ins Fitnessstudio verabschiedete. Eugen machte es sich dann im Doppelripppollunder mit einer Flasche Bier vor dem Fernseher gemütlich und betrachtete voller Behagen das traumhaft sichere Rückpassspiel der deutschen Fußballnationalmannschaft.“
RÜDIGER KIND
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