Soziale Sicherheit = Menschenrecht

betr.: „Nur ein Ablenkungsmanöver“, taz vom 24. 8. 04

Das erklärte Ziel der „Arbeitsmarktreformen“ ist eine höhere Lohnspreizung. Übersetzt heißt dies Lohnsenkung vor allem für einfache Tätigkeiten. Wenn es dann zum Leben nicht mehr reicht, springt der Staat mit ergänzenden Zahlungen ein. Ökonomisch betrachtet sind dies Lohnsubventionen, die letztlich den Unternehmen zufließen. Wer Subventionen bekommt, kann die Konkurrenz zunächst im Preis unterbieten. Also sind immer mehr Unternehmen auf solche Subventionen angewiesen, um zu bestehen.

Der Zeitpunkt ist abzusehen, an dem der Staat kein Geld mehr dafür hat. Also ist ein gesetzlicher Mindestlohn notwendig. Damit muss es wenigstens für einen Alleinstehenden ohne Kinder mit Vollzeitjob möglich sein, ohne staatliche Zuschüsse zu leben. Tarifverträge können diese Aufgabe nicht erfüllen, da immer mehr Beschäftigte unter Tarif bezahlt werden. ULRICH SEDLACZEK, München

betr.: Berichte über die Montagsdemos

Die Montagsdemos hätten einen Sinn, wenn sie gegen die Ursachen von Armut und Arbeitslosigkeit gerichtet wären. Doch diese Ursachen sind nicht in Hartz IV zu finden, sondern z. B. in den jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes, nach denen in den letzten zehn Jahren die Nettogeldvermögen des reichsten Zehntels der Haushalte gegenüber dem des ärmsten Zehntels vom Acht- auf das Zwanzigfache (!) angestiegen sind. Und diese Geldvermögen wachsen bei dem reichsten Zehntel jeden Tag um mindestens eine halbe Milliarde weiter an! Allein die Banken haben 2001 insgesamt 311 Milliarden Euro Zinsen an die Sparer ausgezahlt, einen Betrag, der bereits 54 Prozent der Nettolöhne entspricht!

Konkret: Von 1991 bis 2001 ist die Wirtschaftsleistung nominell um 37 Prozent gestiegen, die Geldvermögen und Zinserträge aber um mehr als 100 Prozent! Und da man auch den Kuchen des Sozialprodukts nur einmal essen kann, musste sich der Staat mit einer Steigerung von 32 und die Arbeitnehmer mit einer von nur 23 Prozent zufrieden geben! Das heißt, die Arbeitleistenden konnten nur noch zwei Drittel der Produkte kaufen, die sie selbst erarbeitet haben – kein Wunder, dass sie und der Staat den Gürtel enger schnallen müssen! Und wenn diese Ursachen nicht behoben werden, müssen auf Hartz IV bald noch größere Grausamkeiten folgen! Und dann wird auch bald die Frage akut, wie lange unsere Demokratie noch funktionieren wird! HELMUT CREUTZ, Aachen

betr.: „Die Montagsdemos sind nur eine Episode“, taz vom 20. 8. 04

Wenn die Politiker der herrschenden Klasse in ihrer unerträglichen Arroganz so fortfahren wie bisher, durch Verelendung der unteren Gesellschaftsschichten den Einkommensmillionären (und sich selbst) die Taschen zu füllen, werden in absehbarer Zeit die Ziele der Proteste schon scharfe Konturen annehmen. Auf die Erklärung, der Pöbel protestiere deshalb so lautstark vor dem Schloss, weil er kein Brot habe, soll Marie-Antoinette völlig verständnislos geantwortet haben: „Dann können die Leute doch Kuchen essen.“ Diese Abgehobenheit hat sie den Kopf gekostet, und nicht nur sie. Unsere Machteliten sollten sich beizeiten besinnen, sonst könnten aus dieser noch diffusen Angst und der Wut über anhaltende koloniale Demütigung des Ostens Visionen entstehen, die den Eliten gar nicht gefallen werden. Aber das muss ja nicht zwangsläufig schlimm sein.

BARBARA TEWES, Horst/Holstein

betr.: Angst vor der roten Gefahr“, taz vom 24. 8. 04

Die alte Crux mit den kommunistischen Sekten: Klar werden die Demos durch ihre Anwesenheit nicht gerade glaubwürdiger und sympathischer. Aber will man diesen Leuten wirklich einen Strick draus drehen, dass sie bei jeder Gelegenheit ihre Zeit und Energie einsetzen, sich organisiert haben und daher dann eben auch schnell und professionell reagieren können?

Besonders ärgert mich, dass die Vorwürfe nicht nur von Privatleuten, sondern auch von anderen Organisationen kommen, die doch genauso ihr eigenes Süppchen kochen. Verräterisch: „Gewerkschafter und Attac-Leute kamen kaum zu Wort“ – mehr als „kaum“ sollen sie ja auch nicht: Die Betroffenen sollen zu Wort kommen! Die anderen haben genug Kanäle, sich zu verbreiten … Zuletzt: Auch die Überschneidung von Mitgliedschaften dürfte gerade für Leute von Attac oder einer Gewerkschaft nichts Fremdes sein. […]

FLORIAN SUITTENPOINTNER, Köln

betr.: „Kleine Löhne, große Ziele“, taz vom 24. 8. 04

Die Art und Weise, wie die 1-Euro-Jobs von der Bundesregierung verteidigt werden, ist aufschlussreich und ebnet der nächsten „Sozialreform“, die wohl nicht mehr „Hartz V“ heißen wird, den Weg. Die Verteidigung: Der 1-Euro-Job gewähre ein Einkommen, das über manchem Arbeitseinkommen liege, jedenfalls im Falle einer Familie mit Alleinverdiener/in. Der absehbare Weg: Das Alg II ist noch zu hoch, denn bei dieser Höhe staatlicher Transferleistung bestehe kein „Anreiz“ zur Aufnahme regulärer schlecht bezahlter Beschäftigung. Folge: Die Leistungen werden gekürzt, die „Zuverdienstmöglichkeiten“ erhöht. So schlägt es heute bereits die CDU vor. Aus neoliberaler Sicht ist das konsequent. Danach ist Arbeitslosigkeit vom Arbeitslosen selbst verschuldet. Er ist nämlich nicht bereit, zu dem niedrigen Lohn zu arbeiten, der ihn für einen Unternehmer interessant macht. Die segensreiche Selbstregulation des Marktes wird nach dieser Sichtweise durch die staatlichen Transferleistungen behindert. […]

Hartz IV wird – absehbar – keine nennenswerten Effekte am Arbeitsmarkt haben. Erinnert sich noch jemand an die Ankündigungen von Hartz, mit besserer Vermittlung und Jobcentern die Arbeitslosigkeit binnen drei Jahren zu halbieren? Was dann bleibt, ist die Übernahme des neoliberalen Credos durch die Bundesregierung, das zu vollstrecken dürfte dann aber vermutlich nicht mehr die Aufgabe dieser Bundesregierung sein.

Eine Alternative: Soziale Sicherheit ist ein Menschenrecht. Man muss sie sich nicht verdienen, auch nicht durch 1-Euro-Jobs. Das war mal die emanzipatorische Vision der grünen Forderung nach einer Grundsicherung deutlich oberhalb der Sozialhilfe und ohne Arbeitszwang. Heute ist sie degeneriert im Arbeitslosengeld II in Gestalt des autoritären Sozialstaats. WILHELM ACHELPÖHLER, Münster

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