Ein Leben für den „dritten Weg“ endet

Ota Sik, nach dem Prager Frühling emigriert, suchte bis zum Tod nach der Synthese von Sozialismus und Kapitalismus

Ota Sik begann sein politisches Leben als Jungkommunist und Widerstandskämpfer gegen die Nazi-Okkupation der Tschechoslowakei und beendete es am vergangenen Sonntag hochbetagt als Schweizer Bürger und emeritierter Professor an der Wirtschaftshochschule St. Gallen. Zwischen diesen beiden Daten liegt eine jahrzehntelange Suche nach dem „dritten Weg“ zwischen Kapitalismus und praktiziertem Sozialismus. Kein sehr populäres Thema heute.

Der 1919 geborene Sik hatte schon früh die Stagnation in der tschechoslowakischen sozialistischen Ökonomie als Ausdruck einer strukturellen Krise der zentralstaatlichen, bürokratischen Planwirtschaft erkannt. In den 60er-Jahren arbeitete er an einem Umstellungskonzept, das die Betriebe ökonomisch verselbstständigen und ihre Planung auf die Grundlinien der ökonomischen Entwicklung beschränken sollte. Aber im Unterschied zu den „Liberalisierungs“-Bestrebungen vieler seiner Kollegen sah er in der Demokratisierung die Voraussetzung dafür, dass die Reform gelang. Daher seine Annäherung an die Arbeiterselbstverwaltung und – im politischen Bereich – an die Prinzipien des demokratischen Bundesstaates der Tschechen und Slowaken. Im Prager Frühling 1968 wurde er im Kabinett des Reforkommunisten Černik Verantwortlicher für die Wirtschaftsreform. Er war vorsichtig, bremste auch ab und zu angesichts der revolutionären Massenbewegung, gehörte aber nie zur technokratischen Reformerriege. Nach der Besetzung der ČSSR erzwangen die Sowjets seinen Rücktritt. Aller Ämter enthoben und von der Partei ausgeschlossen, emigrierte er in die Schweiz.

Im Gegensatz zu vielen der früheren Reformkommunisten und Drittweglern, die nach 1989 zum Kapitalismus sans phrase konvertierten, blieb Sik seinem Thema, der Humanisierung und Demokratisierung der Wirtschaft, treu. Er experimentierte mit der Idee der Kapitalneutralisierung, mit Modellen der betrieblichen Vermögensbildung, kam so Vorstellungen nahe, wie sie in den 70er- und 80er-Jahren im Milieu der Eurokommunisten, aber auch bei den westdeutschen Grünen kursierten. Dabei verdünnte sich das Postulat gesamtgesellschaftlicher Planung, um schließlich ganz zu verschwinden. Sik riet nach 1990 für die Tschechoslowakei zu einer schrittweisen Umstellung Richtung Markt, fand zunächst auch Unterstützung, wurde aber zuletzt von seinem alten Widersacher, dem Technokraten Václav Klaus, beiseite geschoben.

War der „dritte Weg“ unterm Realsozialismus nur eine Übergangsform? War das Äußerste, was schließlich später unter den Bedingungen der Demokratie erreicht werden konnte, ein „Kapitalismus mit menschlichem Gesicht“? Dem wird Sik am Ende seines Lebens wohl zugestimmt haben. Kein Wunder, wo die Verteidigung der sozialen Marktwirtschaft des „rheinischen“ Kapitalismus heute schon als utopisches Unterfangen gilt.

CHRISTIAN SEMLER