Der Kreml vergibt seinen gefährlichsten Job

Neuer Präsident Tschetscheniens soll nicht der brutale Sohn des ermordeten Vorgängers werden, sondern sein blasser Stellvertreter

Es ist der gefährlichste Job, den der Kreml derzeit zu vergeben hat: der Posten des tschetschenischen Präsidenten. Anderthalb Monate vergingen nach dem Attentat auf Achmat Kadyrow, bis der Kreml endlich im Juni einen geeigneten Kandidaten ausfindig gemacht hatte. Der vom Tod des Vorgängers erschütterte russische Präsident Wladimir Putin ernannte den Innenminister der Republik, Alu Alchanow, zu seinem Favoriten und damit vorab zum sicheren Sieger. Der 47-jährige Generalmajor der Polizei macht nicht den Eindruck, als ob er über die Wahl des Kreml wirklich glücklich wäre. Das liegt nicht an mangelnder Loyalität gegenüber Moskau – daran hat es der Thronprätendent nie fehlen lassen. Nach der Eroberung Grosnys durch russische Truppen im ersten Tschetschenienkrieg übernahm er 1995 die Leitung der Bahnpolizei in der Republik. Als sich das Blatt ein Jahr später wieder wendete und Separatisten die Stadt im Handstreich nahmen, verteidigte Alchanow, so will es inzwischen die Legende, den Bahnhof acht Stunden auf aussichtslosem Posten.

Alchanow war ein loyaler Diener Achmat Kadyrows. Er stand neben dem Präsidenten auf der Bühne, als die tödliche Bombe im Mai detonierte. Schwer werde er es haben, das Format des getöteten Präsidenten zu erreichen, meinte Alchanow. Achmat Kadyrow, der skrupellose ehemalige Mufti, Feldkommandeur und Gauner, besaß Charisma. Alchanow ist eher eine blasse Figur, die außer im Kreml nirgendwo Rückhalt genießt. Vor allem stehen bislang die Sicherheitskräfte nicht hinter ihm. Sie hören noch auf den Sohn des ermordeten Präsidenten, Ramsan Kadyrow. Zwischen 2.000 und 6.000 Mann soll diese Truppe zählen, die sich in der Vergangenheit einen zweifelhaften Ruf erworben hat. Mit Entführungen, Mord, Raub und Vergewaltigung hat sie die Bevölkerung in den letzten Jahren terrorisiert. Selbst die Verkehrpolizisten sind Ramsan Kadyrow tributpflichtig. Von den 400 Euro Monatslohn streicht Ramsan 60 Euro ein. Moskau hat dies aus machtpolitischem Kalkül geduldet, und auch Alchanow hat als Innenminister nichts dagegen unternommen. Im ersten Halbjahr 2004 wurden 251 Menschen entführt, 114 verschwanden spurlos, 15 von ihnen wurden tot aufgefunden, dokumentierte die Menschenrechtsorganisation Memorial. Nach dem Tod des Vaters ernannte Moskau Ramsan Kadyrow sogleich zum stellvertretenden Premier.

Doch dann entschied man sich für Alchanow. Dass eine Kandidatur des 27-jährigen Ramsan der tschetschenischen Verfassung widerspricht, war sicherlich nur vorgeschoben. Selbst die retardierte mentale Struktur des Schlägertyps, der Russisch nur rudimentär beherrscht, Kampfsportarten und scharfe Hunde liebt, hätte einer Kandidatur nicht im Wege gestanden. Indes zweifelt Moskau an der Verlässlichkeit Ramsans. Er könnte jederzeit auf die Seite der kriminellen Gangs wechseln, sollte er nicht seinen Willen bekommen. Alchanow ist da nicht nur verlässlicher, er war auch schon immer ein Gegner der von Ramsan praktizierten Methode, ehemalige Freischärler und Kriminelle in die Sicherheitsstrukturen zu integrieren. Auf Wahlplakaten empfiehlt der stellvertretende Premier den Tschetschenen bereits einen anderen als den Kreml-Kandidaten. Ein Konflikt scheint vorprogrammiert. KHD