eine letzte verbeugung vor johnny cash von WIGLAF DROSTE:
Johnny Cash hatte sich schon verabschiedet. Auf seiner letzten CD „The Man comes around“ sang er „Hurt“: „What have I become / My sweetest friend? / Everyone I know / Goes away in the end / And you could have it all / My empire of dirt / I will let you down / I will make you hurt / If I could start again / A million miles away / I would keep myself / I would find a way.“
Im Video dazu sah man einen steinalten, todkanken Mann, das Gesicht eine zerklüftete Gebirgslandschaft, von der aus auf ältere Bilder von Cash geschnitten wurde, die ihn als jüngeren Mann zeigten. Der kurze Film zum Song war eine Reise durch das Leben des Sängers Johnny Cash: Das war ich, sagte er. Kuckt mich noch einmal an, hört mir noch einmal zu. Ich gehe.
Es war todtraurig, und es kam noch härter. June Carter Cash starb, die Frau, ohne die Cash nichts war als ein fahrender Sänger und ohne die er schon lange nicht mehr am Leben gewesen wäre. „Wo ist zu Hause, Mama?“, heißt ein Lied, das Cash auf Deutsch sang. Das Lied stellt die zentrale Frage im Leben eines Mannes und verweigert eine eindeutige Antwort: „Vielleicht auf der großen Straße / Vielleicht hinter blauen Bergen / Vielleicht bei den hellen Sternen.“
Johnny Cash war ein Suchender, und er fand June Carter Cash – Liebe hieß die Antwort, Gott hieß die Antwort. Johnny Cash – das macht ihn singulär – wusste, dass die Antwort für alle, die sie nicht finden können, manchmal Mord heißt. Davon handeln seine Lieder: von Liebe, Gott und Mord.
Seine Frau starb vor ihm, im Mai, und so war man, wie es so heißt, darauf gefasst, dass er ihr bald folgen werde. Er war krank, er war allein, es war abzusehen, und trotzdem tut es weh.
Johnny Cash ist tot, ein großer Tröster in dieser an Tröstern so raren Welt. In der Schmierwelt des Nashville-Mainstream-Country war Cash ein berserkernder Außenseiter – er zeigte dem Establishment den Finger, und, auch das macht ihn einzigartig: Er meinte es genau so. Simuliertes Rebellentum kann man an jeder Ecke haben, die Gestik des Dagegenseins ist im Pop eine unerlässliche verkaufsfördernde Maßnahme. Nicht so bei Cash – der Mann war echt, ein hochexplosives Gemisch aus Widersprüchen.
Johnny Cash war eine Primzahl, teilbar nur durch sich selbst und durch eins. Was man von ihm hören muss, gibt es bei American Recordings und bei Bear Family, was man über ihn wissen muss, hat Franz Dobler in seinem Buch „The Beast in Me – Johnny Cash und die seltsame und schöne Welt der Countrymusik“ aufgeschrieben. Was immer Johnny Cash coverte, es gewann durch seine Stimme an Tiefe und Wahrheit. Seine Version von Tom Pettys „Southern Accent“ klang schon wie ein Requiem, als Cash das Stück 1996 auf „Unchained“ sang: „There’s a dream that I keep having / Where my Mama comes to me / And she kneels down over by the window / And says a prayer for me / I’ve got my own way of praying / And everyone’s begun / With a southern accent / Where I come from.“ Johnny Cash ist nach Hause gegangen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen