„Es geht um unsere Freiheit“

Der neue ARD-Vorsitzende Peter Boudgoust spricht sich im Tauziehen um ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender gegen Proporzdenken und eine Dominanz der Politik in öffentlich-rechtlichen Sendern aus

PETER BOUDGOUST, 54, ist seit Mai 2007 SWR-Intendant, dessen Verwaltungsdirektor der Jurist zuvor war – und seit Anfang 2009 ARD-Vorsitzender.

INTERVIEW STEFFEN GRIMBERG

taz: Herr Boudgoust, Sie haben unlängst gesagt, ARD-Zuschauer seien durchweg Leser von Qualitätszeitungen. Wenn das stimmt, müssten unsere Auflagenzahlen in die Millionen gehen. Oder haben Sie da einen ganz breiten Qualitätsbegriff?

Peter Boudgoust: Wer täglich Zeitung liest, ist Kern unseres Publikums. Wir bedienen die gleiche Klientel, die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten brauchen eine starke Qualitätspresse – und das ist keine taktische Äußerung.

Junge Menschen fehlen den Zeitungen wie der ARD. Die Verlage haben bislang keine zündende Idee, wie das zu ändern wäre – und die ARD?

Wir arbeiten dran. Junge Menschen schauen durchaus auch weiterhin ganz klassische Sendungen wie „Tagesschau“, „Tatort“ oder Sport. Aber wir müssen sie in der ARD regelmäßiger erreichen, daher sind wir gerade intensiv dabei, auch mit neuen Protagonisten und neuen Programmformen und neuem Lebensgefühl zu experimentieren: In den dritten Programmen, aber auch den Digitalkanälen.

Wäre es da nicht eine gute Idee, jüngere Programmmacher mal selber zum Zuge kommen zu lassen, anstatt diese Entscheidungen den Fiftysomethings aus den Chefetagen anzuvertrauen?

Ich bin sehr dafür, genau das versuchen wir auch. Wir können zum Beispiel bei den ARD-Jugendwellen im Radio auf eine ganze Reihe spannender junger Leute in den eigenen Reihen zurückgreifen.

Aber der Plan vom ARD-weiten TV-Jugendkanal ist passé.

So was wäre medienpolitisch nicht durchsetzbar gewesen, und jetzt ist auch die Medienentwicklung drüber hinweggefegt: Das Leitmedium junger Menschen ist heute das Internet.

Wobei sich die ARD dabei mal wieder alles andere als einig ist: Da eröffnet die ARD einen eigenen YouTube-Channel, und der Bayerische Rundfunk erklärt demonstrativ, bei so was mache er nicht mit, weil YouTube kein Umfeld für öffentlich-rechtlichen Rundfunk sei.

Die ARD ist ein Hort der Meinungsfreiheit – nach außen wie nach innen. Ich setze darauf, dass positive Beispiele wirken und dann auch der Widerstand Einzelner aufhört. Und bei YouTube halte ich es mit der britischen Komikertruppe Monty Python: lieber selber machen, als dass andere unsere Videos in schlechter Qualität einstellen.

Doch das dauert – dabei haben Sie unlängst in einem Interview mit der Süddeutschen gefordert, die ARD müsse „schneller werden“. Wurde just dafür nicht vor knapp drei Jahren das ARD-Generalsekretariat in Berlin geschaffen, das jetzt anscheinend niemand mehr haben will?

Es gibt bei solchen zentralen Einrichtungen wie dem Generalsekretariat immer Justierungsbedarf, das war auch von Beginn an so angelegt. Da sind wir weiter dabei, und ich bin guter Dinge, dass wir das zu einem guten Ende bringen.

Mit der im Intendantenkreis eher unbeliebten Generalsekretärin Verena Wiedemann oder mit anderem Personal?

Wir haben mit Frau Wiedemann eine kompetente Generalsekretärin, an deren Fähigkeiten ich keine Zweifel habe. Außerdem sollte das Generalsekretariat nicht primär irgendetwas beschleunigen, sondern administrativ bündeln und koordinieren – und das tut es auch. Wir müssen aber vor allem in den Fragen, die aktuell die Welt bewegen, schneller werden und können nicht immer warten, bis alle ARD-Prozeduren gelaufen sind und alle Kommissionen getagt haben. Da brauchen wir alternative Entscheidungsstrukturen.

Das ZDF hat es da als zentraler Sender einfacher – und mehr Erfolg. In letzter Zeit häufen sich nun wieder Beispiele, wo ARD und ZDF gegeneinander Programm machen. Sie selbst schließen nicht aus, zugunsten eines einheitlichen „Tagesthemen“-Beginns mit dem Fernsehfilm vom Mittwoch auf den Montag zu wechseln – den Sendetermin des ZDF-„Fernsehfilms der Woche“, weshalb Ihnen dort so mancher gern vors Schienenbein treten würde.

Ich sehe keine absichtlichen Fouls und halte auch wenig vom Begriff „Kampfprogrammierung“. Keinem Fernsehmacher geht es darum, sein Produkt oder die Produkte anderer zu beschädigen. Aber wir sind den Zwängen des Programmschemas unterworfen, da lässt es sich gar nicht verhindern, dass man sich mal in die Quere kommt. Darüber muss man reden, aber man sollte es auch sportlich nehmen.

Apropos Fouls und ZDF: Die Union will unter Führung von Hessens Ministerpräsident Roland Koch, der im ZDF-Verwaltungsrat sitzt, eine Vertragsverlängerung von Chefredakteur Nikolaus Brender verhindern. Da muss sich der ARD-Vorsitzende doch mit wehenden Fahnen auf die ZDF-Seite stellen.

Das höchste Gut, das wir haben, ist unsere Unabhängigkeit. Es darf nicht mal der Anschein erweckt werden, dass sie gefährdet wird. Ansonsten gilt: Politische Interessenvertretung ist legitim, sie ist laut Verfassung vorgesehen, aber sie darf nicht dominierend sein oder vordergründigen Parteiinteressen dienen. Kleinliches Proporzdenken – da ein „Roter“, dort ein „Schwarzer“ – ist meines Erachtens ohnehin anachronistisch. Grundsätzlich ist gegen eine angemessene Vertretung der Politik in Rundfunkgremien aber nichts einzuwenden, sie gehört genauso zu den gesellschaftlich relevanten Gruppen wie Kirchen, Gewerkschaften und andere Institutionen.

Das ist sehr diplomatisch formuliert, also ist das, was da beim ZDF läuft, nun eine Schweinerei oder nicht?

Ich verstehe mich nicht als Schiedsrichter. Aber die Politik darf in solchen Personalentscheidungen nicht dominieren, sonst würde das verfassungsrechtlich zulässige Maß überschritten. Es geht um die Rundfunkfreiheit. Die darf nicht zur Disposition stehen.