radschlag
: Jan Ullrich flirtet mit dem Team Telekom

Geld oder Sport

Manchmal liegt die Wahrheit ja in der Mitte. Und die wird von Jan Ullrich, des Landes begabtestem Radfahrer, so beschrieben: „Es geht nicht allein ums Geld. Bei mir steht der Sport immer noch an erster Stelle.“ Nicht allein, immer noch – na, is’ schon klar: Der Exmerdinger will gewinnen. Und abkassieren. Warum auch nicht? Radfahren ist schließlich sein Job, seine Zeit im nicht mehr ganz so zarten Alter von 29 Lenzen mittlerweile limitiert – und außerdem hat die Drogenpause ein unschönes Loch in die Kasse der jungen Familie Ullrich gerissen. Also nur auf und zurück zu den alten Ufern des Teams Telekom. Wie diese Woche bekannt wurde, laufen die Verhandlungen bereits auf Hochtouren.

Rein sportlich gesehen scheinen die radelnden Fernmelder aus Bonn dem Sommerspross auf den ersten Blick tatsächlich die bessere Mannschaft – und damit die vermeintlich höhere Chance zu bieten, diesen verrückten Amerikaner doch einmal zu schlagen im heißen Sommer von Frankreich. Und finanziell kann der Konzern mit dem T auf jeden Fall weitaus mehr mobil machen, als es das Team Bianchi je könnte, selbst wenn es, wie gestern bekannt wurde, mit dem ebenfalls italienischen Team Saeco fusionieren sollte.

Das ist die eine Seite der Medaille, die eine Rückkehr Ullrichs zu Telekom vordergründig gar nicht so dumm erscheinen lässt. Die andere jedoch hat damit zu tun, dass ihm die Trennung vom Team Telekom vor ziemlich genau einem Jahr bestens bekommen ist, daran kann es keinen Zweifel geben. Der 29-Jährige hat ein bestaunenswürdiges Comeback hingelegt – und er hat sich dabei als gereifte Persönlichkeit präsentiert, manche sprechen gar vom „neuen Ullrich“. Und es gibt keinen Zweifel daran, dass er seine Selbsterneuerung ohne das Team Bianchi, das kurzfristig als Notnagel für die Pleite gegangene Mannschaft von Coast eingesprungen ist, nie auf die Reihe gekriegt hätte. Und natürlich nicht ohne Rudy Pevenage, den Teammanager, der auf Bitten des 29-Jährigen das Team Telekom von jetzt auf nachher mit verlassen hat, um mit Ullrich in eine mehr oder weniger ungewisse Zukunft zu starten – und ihm dabei väterlich zu helfen, endlich erwachsen zu werden. Eine Rückkehr von Pevenage zu Telekom wiederum scheint eher ausgeschlossen, zu tief sind seit dessen Telekom-Weggang die Gräben zwischen ihm und Walter Godefroot, dem Boss der Telekomiker. Aus ehedem Freunden sind ob der Affäre Ullrich Feinde geworden, beide in einem Team sind kaum mehr denkbar. Und wenn doch – weil beispielsweise von der Konzernspitze angeordnet – ist es zum Scheitern verurteilt.

Das ist die eigentliche Wahl, die Ullrich zu treffen hat: Auf der einen Seite steht das System Telekom, in dem er einmal Toursieger wurde, dann aber auch abgestürzt ist, so weit, bis er vom Arbeitgeber verschmäht wurde. Dass der Konzern nun, nachdem er gesehen hat, dass er ohne Ullrich im medialen Niemandsland radelt, wieder bereit ist, die ein oder andere Million hinzublättern, macht die Chose nicht wirklich besser.

Auf der anderen Seite steht das System Pevenage, das Ullrich zurückgebracht hat als Sportler mit außergewöhnlichen Fähigkeiten (und damit ist ausdrücklich nicht der Genuss von Partydrogen gemeint), vielleicht sogar stärker denn je, obwohl weniger Geld in der Kasse liegt und eine von den Namen her schwächere Mannschaft auf den Rädern sitzt – oder vielleicht auch gerade deswegen. Seit gestern kommt zudem die Möglichkeit hinzu, dass, sollte die Fusion von Bianchi und Saeco tatsächlich über die Bühne gehen, Ullrich künftig auf die Dienste von Girosieger Gilberto Simoni sowie Danilo di Luca bauen könnte. Besseres hat Telekom auch nicht zu bieten. Dafür scheint mehr als unwahrscheinlich, dass Ullrich die positive Entwicklung, die er bei Bianchi genommen hat, auch bei seinem alten Arbeitgeber fortsetzen kann.

Doch nicht nur unter der Fusionsprämisse ist Ullrich gut beraten, den eingeschlagenen Weg beizubehalten – und sich gegen das Team Telekom auszusprechen. Entscheidet er sich dafür, wäre es eine Entscheidung für Geld – und gegen den Sport. FRANK KETTERER