Die schnelle Eingreiftruppe

Wenn die örtlichen Gesundheitsämter bei einer drohenden Epidemie überfordert sind, können sie Hilfe vom Berliner Robert-Koch-Institut anfordern. Dort steht rund um die Uhr ein Expertenteam für Infektionserkrankungen bereit

Die Patienten hatten Fieber und litten unter trockenem Husten. Anfang Juni dieses Jahres suchten auffallend viele Menschen mit diesen Symptomen Hilfe in den Krankenhäusern des nordrhein-westfälischen Landkreises Soest. Die Diagnose stand schnell fest: atypische Lungenentzündung. Aber welcher Erreger war verantwortlich für die Krankheitsfälle und wo hatten ihn sich die Menschen eingefangen?

Das Gesundheitsamt war mit den Nachforschungen überfordert und wandte sich an der Berliner Robert-Koch-Institut (RKI), die zentrale Bundeseinrichtung für Infektionskrankheiten. Bricht vor Ort ein unbekannter Erreger aus, können die zuständigen Behörden eine schnelle Eingreiftruppe mit Spezialisten zu Hilfe rufen.

In Soest kamen drei RKI-Mitarbeiter zusammen mit Kollegen des Gesundheitsamtes dem Erreger schnell auf die Spur. Untersuchungen ergaben, dass die Patienten unter Q-Fieber litten – insgesamt befiel der Erreger, der sich nur von Tier zu Mensch überträgt, 170 Personen.

Das Untersuchungsteam verglich die Verhaltensmuster der Erkrankten mit den Aussagen zufällig ausgewählter Einwohner der Region. Ergebnis: Die Patienten hatten einige Wochen zuvor fast ausnahmslos einen Bauernmarkt mit Viehausstellung besucht. Die Experten bohrten weiter und fanden den Hauptinfektionsherd – ein weibliches Schaf, das den Erreger bei der Geburt des Lammes freigesetzt hatte.

Die Arbeitsbedingungen für die Kämpfer an der Seuchenfront haben sich deutlich verbessert, sagt Andrea Ammon vom RKI. Die Experten für Infektionsepidemiologie erhielten in diesem Jahr eine eigene Abteilung. 70 Mitarbeiter analysieren hier die Daten der Gesundheitsämter. Die Datenverarbeitung ist auch das Tagewerk der 18 Mitarbeiter zählenden Eingreiftruppe. Bei den bis zu 13 Anfragen pro Jahr lassen die Spezialisten aber alles liegen und schnappen sich ihre Notfallkoffer mit Laptop, Drucker, Büromaterial und Fragebögen. „Um 14 Uhr kam der Anruf, um 19 Uhr saßen die Kollegen im Flieger“, erinnert sich Ammon an den bisher kniffligsten Einsatz, den sie von Berlin aus koordinierte. Bakterien lösten in Bayern mehrere Fälle von Hirnhautentzündung aus. Die Gesundheitsämter erwogen, alle Einwohner der Region zu impfen – immerhin einige zehntausend Menschen. Unter enormem Zeitdruck recherchierten die RKI-Mitarbeiter, dass nur Besucher verschiedener Dorf-Discos erkrankten. Da diese während der Faschingszeit stark besucht waren, konnte der Erreger durch den engen Körperkontakt überspringen. Nach Ende der Saison sank die Übertragungsgefahr gegen null – die Impfungen konnten unterbleiben.

Wenige Jahre zuvor hätte das Gesundheitsamt noch alleine mit der Situation fertig werden müssen. Die Eingreiftruppe wurde erst 1995 ins Leben gerufen. Bundesregierung, Länder und Gesundheitsbehörden waren sich einig, dass die Infektionsbekämpfung eine zentrale Instanz braucht. Das RKI soll lokale Institutionen, die bis dato oft aneinander vorbei handelten, bei Bedarf koordinieren – jedoch nur auf Nachfrage der jeweiligen Gesundheitsministerien.

„In den 70ern dachte man, dass Krankheiten wie etwa Diphtherie endgültig besiegt sind. Die letzten Jahre haben aber gezeigt, dass der Impfschutz abnimmt und Erreger resistent werden“, sagt Ammon. Solche Beispiele führten bei den Verantwortlichen zu einem Umdenken. Andere Länder begriffen deutlich schneller. Die USA haben seit 50 Jahren eine mobile Eingreiftruppe. Ein amerikanischer Experte baute in der Anfangszeit das zweijährige Ausbildungsprogramm am RKI auf.

Das RKI bildet mehr Spezialisten aus, als es einstellen kann. „Die Leute arbeiten dann bei Gesundheitsämtern, in Ministerien, einige auch bei der Weltgesundheitsorganisation. So bilden wir ein Netzwerk, das im Ernstfall eine gute Kommunikation garantiert“, sagt Ammon.

STEFFEN BECKER