Staatsakt mit Reisebus

Stehen alle Steine, kippen die Baken? Seit 1924 prüfen Deutsche und Dänen regelmäßig ihre gemeinsame Grenze

„Es gibt so viele Grenzen auf der Welt und in Europa, die schwierig sind – wir können froh sein über diese.“

von Esther Geißlinger

Da, wo Deutschland aufhört, steht ein dänisches Ehepaar neben seinem Passat-Kombi und schaut milde verwundert auf den weißen Reisebus, aus dem eine Schar gut gekleideter Herren quillt. Ein paar Damen sind auch darunter. Ein Fernsehteam des dänischen Fernsehen springt aus seinem VW-Bus und legt mit den Kameras auf die Schar an. Die Damen und Herren steigen den Deich hinauf und versammeln sich um eine rot-weiße Bake hinter einem grauen Stein: Grenzpfahl 280, die letzte Markierung der deutsch-dänischen Grenze auf dem Festland. Nummer 1 steht an der Flensburger Förde, an der Ostsee, Nummer 280 am Nordseedeich.

Prüfende Blicke auf die Bake, mehrere Hände pochen auf das Holz, um festzustellen, ob es stabil ist. Ja, die Grenze steht. Der Deich erstreckt sich in beide Richtungen unter einem blassen, bewölkten Himmel, Schafe weiden hüben wie drüben.

Das dänische Fernsehen filmt das dänische Ehepaar, während Heinz Maas vom Katasteramt Nordfriesland die Gruppe in den Bus zurückruft: Man hat noch viel vor.

Alle zehn Jahre findet dieses Spektakel statt, ein Staatsakt per Bus und zu Fuß: Eine hochkarätig besetzte, deutsch-dänische Kommission fährt die Grenze ab, prüft an einzelnen Stellen der 67 Kilometer langen Staatenmarkierung, ob die Steine noch richtig stehen, ob das Holz brüchig wird. Zwei Landräte sind von deutscher Seite mit dabei, ein Amtmann von dänischer, leitende Beamte von Katasteramt und Zoll, Vertreter der Ämter und Gemeinden – insgesamt eine stattliche Zahl von Lohnkosten, die sich zwei Tage lang mit Steinen, Schotterwegen und Seezeichen beschäftigen.

„Früher war das noch bürokratischer“, erinnert sich Erik Freddy Pedersen vom Amt Sonderjylland. Zum vierten Mal ist er dabei, und damals, 1964, dauerte der gemeinsame Törn noch vier Tage statt zwei. Dass es heute schneller geht und so unkompliziert, liegt daran, dass Deutsche und Dänen jetzt ganz anders zusammenarbeiten: „Früher bot die Grenzkommission fast die einzige Gelegenheit, um sich mal zu treffen“, sagt Dr. Olaf Bastian, Landrat des Kreises Nordfriesland. „Heute ist das ein Termin unter vielen.“ Der sich vielleicht sogar noch straffen ließe: „Es ist mehr ein Ritual.“

Ein Vertrag regelt dieses Ritual, das seit 1924 stattfindet. (siehe Kasten).

In diesem Jahr, 2004, ist die Grenze eigentlich keine mehr: Seit dem Schengener Abkommen bedeutet der Strich auf der Karte nur eine Trennung zweier Länder innerhalb Europas. Das ist vielleicht der Grund, warum einige der Kommissionsmitglieder sich ein bisschen wie auf Schulausflug fühlen: Ob Grenzstein 259 umgekippt ist oder ob 34 a und b zwei oder fünf Meter von der Markierung entfernt stehen, spielt eigentlich keine so große Rolle.

Die Dänen schauen allerdings etwas ernster auf die Trennlinie zwischen sich und dem größeren Nachbarn. Trine Heinemann vom dänischen Katasteramt meint: „Wir machen die Grenze sichtbar. Und wir wachsen auf beiden Seiten mit unserer eigenen kulturellen Identität.“ Der Vertreter des Amtes Sonderjylland, Torben Sörensen, erklärt: „Es ist nicht wichtiger als früher, hier nach dem Rechten zu schauen, aber auch nicht unwichtig. Wir haben die Verpflichtung, zu prüfen, ob alles in Ordnung ist.“

Das tut die Kommission mit Akribie: Über einen Feldweg geht es zu Stein 259, der alle paar Monate von einem Trecker gerammt wird und schief im Dreck hängt. Eine im Boden eingelassene Betonplatte soll ihn ersetzen, wird beschlossen. Damit passt sich ein weiteres Puzzleteilchen der Grenzlinie den modernen Zeiten an: Statt „DR-P“ für „Deutsches Reich – Preußen“ wird nur noch „DR“ die deutsche Seite anzeigen. „Das D steht ja schon für Dänemark“, erklärt Olaf Bastian, warum nicht endlich das „Reich“ ausgemerzt wird: Rotes D, schwarzes DR, eine blaue Rille, die den Verlauf der Grenze in Richtung des nächsten Pfahls anzeigt – so sehen die Steine aus.

„Aber wir haben auch Eichenpfähle, Seezeichen, Bojen“, erklärt Heinz Maas. Den Seeteil der Grenze ist die Kommission am Vortag abgefahren.

Noch etwas ist neu in diesem Jahr: Es gibt grenzüberschreitende Projekte, etwa das Naturschutzgebiet Krusau-Tunneltal. „Die Natur kennt keine Grenzen“, erklärt Aksel Voigt, Projektleiter auf dänischer Seite. „Aber mit den verschiedenen Verwaltungen ist es etwas schwierig gewesen.“ EU-Mittel halfen, die Probleme zu vergessen, jetzt ist zusätzlich ein grenzüberschreitender Radweg geplant.

Nahe der Krusau hat ein Bächlein den deutschen Grenzstein umgeworfen, der soll versetzt werden, und der dänische am besten auch, denn das Rinnsal gräbt sich beharrlich ein tieferes Bett. Steine umstellen, Grenze bleibt unverändert, beschließt die Kommission.

„Gendarmenstieg“ heißt diese Stelle, aber Zollbeamter Jürgen Thiele und seine Leute jagen kaum mehr Schmuggler an der Grünen Grenze: Seit Schengen nehmen die bösen Buben die Autobahn. Geschmuggelt wird natürlich weiter, Alkohol und Zigaretten „wegen des unterschiedlichen Steuerniveaus“, sagt Thiele, aber auch Menschen, Waffen, Drogen. Darum kümmern sich die Beamten beidseits der Grenze gemeinsam. „Aber unser Schwerpunkt ist heute, die organisierte Kriminalität in der Schwarzarbeit zu bekämpfen“, sagt Thiele – nichts mehr mit romantischen Verfolgungsjagden.

Zum Abschluss geht es in das Dörfchen Rosenkranz/Rudböl: Reetdachhäuschen links, Reetdachhäuschen rechts, hier eine Tuborg-Werbung, dort ein Schild, das Feriengäste einlädt. Auch hier endet Deutschland, mitten auf der Straße, die linke Fahrbahn gehört noch dazu, die rechte ist Ausland.

Die Legende sagt, dem Japaner in der Grenzkommission von 1920 sei kalt gewesen, darum habe er vorgeschlagen, die Straße einfach der Länge nach zu teilen, statt lange zu streiten. Der Oberdeichgraf der Region weiß es besser: Drei Familien wollten partout Dänen bleiben, das wurde ihnen erlaubt. Kinder, Hunde und wendende Autos wechseln mühelos mit der Straßenseite den Staat.

„Es gibt so viele Grenzen auf der Welt und in Europa, die schwierig sind – wir können froh sein über diese“, sagt Manfred Müller, Leitender Verwaltungsdirektor des Kreises Nordfriesland. 2014 schaut die Kommission das nächste Mal nach dem Rechten.