„Wir spielen draußen!“

Shakespeare und die Wetterunwägbarkeiten: Je länger der Regen dauert, desto besser wird die Stimmung. Ein Bericht aus der Schlammzeit

Mittlerweile steht das Wasser auf der Bühne. Ignorieren – oder mit ihm spielen

Hellgraue Wolken wechseln sich mit dunkelgrauen ab. Mittwoch, 13.00 Uhr in der Bremer Shakespeare Company. Heute abend soll „Romeo und Julia“ im Bürgerpark gespielt werden. Telefonat mit dem König der Wetterfrösche, dem Hamburger Wetteramt: „Hallo, wie wird das Wetter heute abend in Bremen?“ Zu 80 Prozent gibt es wahrscheinlich keinen Dauerregen. Wobei hier die Betonung auf Dauer liegt, denn zwei bis drei einzelne Schauer sind angekündigt. Das hört sich gut an, nach kurzer Beratung fällt die Entscheidung: „Wir spielen draußen!“

Es geht los, ein großer LKW wird mit Stellwänden, Vorhängen und dem restlichen Equipment beladen und in den Bürgerpark kutschiert. 14.30 Uhr: Sonne! Der LKW erreicht den Park, die Bühne steht schon, einige Scheinwerfer auch, die 700 Stühle werden grad aufgestellt und Lampignons mit den Bäumen verflochten. Fast wie eine Insel liegt die Wiese an der Melchersbrücke da, zwei Seiten von Wasser umgeben, mit Blick auf die Meierei, quakende Enten im Schilf, der Pfau schreit vom Tiergehege herüber. Ein Ruderboot schippert langsam vorbei. Kann es idyllischer sein?

15.10: Regen. Kräftige Sturmböen peitschen den 15 Bühnentechnikern beim tackern, schrauben, kleben und hämmern ins Gesicht. Zehn Minuten später scheint wieder die Sonne. In drei Stunden muss alles fertig sein. Es wurde fertig.

19.00 Uhr: Der Himmel ist hellgrau mit einigen blauen Flecken. Grund zur Hoffnung. Die ersten Leute stehen schon an der Abendkasse an. Hinter der Bühne sind neun Schauspieler eifrig beim Schminken und umziehen. Ein großes Party-Plastikzelt täuscht mit einigen Biertischen, Bänken und Spiegeln eine Künstlergarderobe vor. 19.23: Leise, ganz leise klopfen die ersten Regentropfen auf das Zeltdach. „Sieht nach Dauerpisse aus“, urteilt knallhart ein Regen erfahrener Schauspieler. In anderen Städten würde niemand auch nur das Haus verlassen – die Bremer dagegen gehen dann erst recht raus, am liebsten ins Sommertheater. Die Massen strömen also, als wäre es ein lauer Sommerabend, bewaffnet wie für eine Exkursion nach Indien während des Monsuns. Man schwatzt munter mit dem Nachbarn, hier ein Bier, dort einen Wein, nur ein ganz spezielles Getränk wartet noch auf seinen großen Auftritt.

20.00 Uhr: Es geht los. Im Kampf zwischen Capulets und Montagues scheuchen vier Schüsse die schon friedlich im Schilf schlummernden Enten auf, der Pfau schreit vorwurfsvoll vom Tiergehege herüber.

20.35: Jetzt gießt es richtig. Kurze Unterbrechung. Krisensitzung in der Künstlergarderobe, die Schauspieler würden weiterspielen, das Publikum soll entscheiden. Ja, sie wollen.

20.47: Es wird weitergespielt, mit Regenschirmen, Regenjacken und durchsichtigen Frischhaltefolie-Regenumhängen über den Kostümen. Um 21.00 Uhr werden die Heizstrahler im Zelt gezündet, der Regen prasselt weiter aufs Dach, die Party-Lichterkette spendet schummriges Licht, Zeltlager-Romantik schafft ein wenig Gemütlichkeit. Die Stimmung ist nicht schlecht.

Und auf der Bühne? Mittlerweile steht das Wasser auf der Bühne. Ignorieren – oder mit ihm spielen. Aus dem Starkregen ist nun ein sanfter Nieselregen geworden. Fast möchte man, „oh, wie schön“ rufen, wie die Tropfen von den Scheinwerfern illuminiert auf den Bühnen-See fallen. Meterhoch spritzt es besonders dramatisch bei den Kampfszenen, wenn nochmal und nochmal ein Rücken auf dem Wasser aufklatscht. Und je länger der Regen dauert, desto besser wird die Stimmung. Und fast am Ende, es ist mittlerweile 22.45 Uhr, öffnet der Himmel nochmal alle Schleusen.

Da hilft nichts, Julia ist just gestorben und liegt in einer riesengroßen Pfütze, einem Meer von Tränen. Romeo hat Probleme, sich verständlich zu machen, da über die Lautsprecher nur noch der prasselnde Regen zu hören ist. Es hat keinen Sinn mehr, „wollen wir hier nicht aufhören?“ Standing Ovations. Und Glühwein hinter der Bühne. aps