„Mein Land ist wie ein Mosaik“

Im letzten Jahr gewann die Sängerin Sertab Erener den Grand Prix Eurovision, heute eröffnet sie das türkische Kulturfestival „Simdi Now“. Ein Gespräch über türkischen Pop, internationalen Anspruch und das heikle Verhältnis der Türkei zu Europa

INTERVIEW DANIEL BAX

taz: Frau Erener, seit Ihrem Grand-Prix-Erfolg im vergangenen Jahr sind Sie so etwas wie die musikalische Botschafterin der Türkei. Heute eröffnen Sie etwa das türkische Festival „Simdi Now“ in Berlin. Gefällt Ihnen diese Rolle?

Sertab Erener: Ich habe damit kein Problem. Wenn es einen offiziellen Termin zu besetzen gibt, dann fällt eben zumeist mein Name. Das ist doch schön.

Sie sind oft zu Konzerten in Deutschland. Können Sie Deutsch?

Ein kleines bisschen. Als Studentin am Konservatorium in Istanbul habe ich Lieder und Arien gesungen. Manche davon waren auf Deutsch, etwa von Schubert, und darum habe ich einen Deutschkurs besucht. Aber es ist eine schwere Sprache, mit diesen Der, Die, Das. Deswegen habe ich schnell das Handtuch geworfen.

Der Grand Prix war schon immer eine große Sache für die Türkei: ein Symbol für die Zugehörigkeit zu Europa.

Ja, aber in den letzten Jahren hatten wir das Vertrauen in uns selbst verloren, den Medien und den Menschen war das Interesse am Grand Prix vergangen. Aber durch meinen Erfolg im vergangenen Jahr hat sich das komplett geändert.

Dass ausgerechnet Sie bei diesem Wettbewerb angetreten sind, hat viele überrascht: Sie können ja bereits auf eine lange und erfolgreiche Karriere in der Türkei zurückblicken.

Ja, deswegen hat fast jeder zu mir gesagt: Sertab, du gehst ein großes Risiko ein. Aber ich hatte einen Plan: Erstens, den Eurovision Song Contest zu gewinnen. Und zweitens einen Song für den europäischen Markt zu schreiben, der ein Hit sein würde. Beides ist mir gelungen. Insofern bin ich sehr froh, dass mein Plan aufgegangen ist.

War das Ihr ganz persönlicher Plan – oder war er Teil eines größeren Projekts, um die Türkei international ins Rampenlicht zu rücken?

Nein, das war ganz meine eigene Entscheidung. Ich habe alles generalsstabsmäßig vorbereitet und bin für die Aufnahmen eigens nach London geflogen. Das hat viel Geld gekostet.

Für viele, die Sie aus der Türkei kennen, wirkte das wie ein Imagewechsel.

Ja, warum?

Nun, Sie galten bislang als anspruchsvolle Pop-Sängerin, weniger als Mainstream-Star.

Es war halt ein Experiment. Mein Ziel war es, ein richtiges Pop-Stück zu machen. Eines Tages hörte ich ein Stück von Missy Elliott, das hat mich inspiriert. Die Idee war, eine traditionelle Melodie zu nehmen, wie ein Sample, und sie mit einem kräftigen Beat zu versehen. Außerdem wollte ich schon immer einen Rap-Part singen. So ist „Everyway That I Can“ entstanden.

In der Vergangenheit hat die Türkei beim Grand Prix ja stets versucht, mit einem möglichst westlichen Look und Sound Punkte zu machen – so wie in diesem Jahr auch wieder beim Auftritt der türkischen Ska-Band Athena. Sie dagegen haben sich für einen sehr orientalischen Auftritt entschieden, mit Bauchtänzerinnen und Orient-Kostümen.

Es war eher eine Balance zwischen orientalischen und westlichen Elementen. Die Choreografie enthielt Bauchtanz-Elemente, aber nicht nur. Und die Leute scheinen es ja zu mögen, aus welchem Grund auch immer: In Schweden etwa war das Stück vier Wochen lang Nummer eins.

Auch im Video zu „Everyway That I Can“ haben Sie mit orientalischen Bildern gespielt, mit Harem-Szenen im Hamam, dem türkischen Bad.

Ja, aber wenn Sie das Gesamtbild betrachten, ist es weder das eine noch das andere. Es ist so wie die Türken: Wir sind dazwischen. Das ganze Land ist wie ein Mosaik – ein bisschen muslimisch, ein bisschen westlich, ein bisschen türkisch, ein bisschen arabisch.

In der Vergangenheit hatte man oft das Gefühl, türkische Künstler würden sich am liebsten nur westlich geben.

Ja, aber das ist nicht gut. Weil es nicht ihre Musik ist.

Sie sind nach Tarkan die erste Türkin, der internationaler Erfolg vergönnt war. Warum scheint das für türkische Künstler so schwer zu sein?

Der Song von Tarkan hatte eine unvergleichliche Hook: einen Kuss. Das ist wirklich international, niemand kann eine universellere Hook erfinden. Auch Tarkan hat gerade ein neues Album aufgenommen, in Englisch. Aber es ist nicht einfach, ein internationales Publikum anzusprechen, wenn man seine eigenen Traditionen einfließen lässt. Wenn die Leute etwas Neues, Fremdes hören, lehnen Sie es erst einmal ab, das ist eine natürliche Reaktion. Die türkische Musik ist europäischen Ohren nicht vertraut. Aber wenn ich mit meinem Album Erfolg habe, vielleicht hat türkische Popmusik dann eine Chance in Europa.

Von Tarkan hieß es schon seit Jahren, er arbeite an einem englischen Album …

Ja, das stimmt. Es ist auch wirklich nicht einfach, und er hat nach etwas ganz Eigenem gesucht. Jetzt ist er so weit.

Ihr Erfolg beim Grand Prix und jetzt das Festival „Simdi Now“ kommen ja gerade rechtzeitig zum Start der Beitrittsverhandlungen der Türkei mit der EU. Sehen Sie das als eine Art gutes Omen?

Ich weiß nicht. Ich mag keine Politik, und ich ergreife nicht gerne Partei für eine Seite. Aber wenn die EU-Mitgliedschaft unser Land zum Guten verändert, dann soll es mir recht sein. Ich glaube nicht an Grenzen, darum habe ich mein Album auch „No Boundaries“ genannt. Wir leben alle auf dem gleichen Planeten und haben die gleichen Probleme: Das ist meiner Meinung nach das Wichtigste.