Helden, Hunde, Hammerwerfer

An diesem Sonntag werden die Spiele der XXVIII. Olympiade beendet – ein Glück

Es ist verblüffend, für welchen Schmu es Medaillen gibt

Es ist nicht sicher, ob alle Bescheid wissen: Immer noch finden in Athen die Olympischen Spiele statt. Die hören gar nicht mehr auf damit! Zwar sind die Griechen komplett ahnungslos oder im Urlaub – überall leere Ränge, gesperrte Stadien, eine Atmosphäre wie auf dem WC des Busbahnhofs in Kassel, aber: the games must go on! So ist bei den Wettkämpfen die Zahl der Betreuer und Sportler erstmals höher als die des Publikums. Tagsüber dösen die olympiaresistenten Griechen im Schatten, am Abend lassen sie die Rollos mit Anti-Sport-Beschichtung runter. Die Einzigen, die bei den Radsportentscheidungen dabei sein wollten, waren die Straßenhunde, aber die wurden vorher erschossen.

Wer die Spiele hierzulande im Fernsehen verfolgt, sieht viel Desinteresse, und er spürt auch sehr viel Desinteresse bei sich selbst. Die Olympischen Spiele konkurrieren mit der vierten oder vierzigsten Staffel von „Big Brother“, und es sieht nicht gut aus für sie. Allein der dubiose Motorradunfall der griechischen Sprinter Kostas Kenteris und Ekaterini Thanou brachte etwas Farbe ins farblose Geschehen. Aber schon beim Hickhack um die deutsche Goldmedaille der Vielseitigkeitsreiter kollabierte das Interesse wieder schlagartig. Vielseitigkeitsreiten – das klang zu sehr wie die nüchterne Beschreibung eines Siebzigerjahre-Pornos. Es ist schon verblüffend, für welchen Schmu heutzutage Medaillen vergeben werden.

Aber nicht die schon sehr nahe am Irrsinn gebauten Sportarten wie Beach-Bodenturnen, Synchron-Kugelstoßen oder 50-Kilometer-Rückwärtsgehen sind schuld an der Misere der Olympischen Idee. Wer sich fragt, warum die Wettkämpfe ihre Attraktivität verloren haben, sollte sich zuerst fragen, warum sie jemals eine besessen haben? Nehmen wir das Hammerwerfen, das schon immer ohne Hammer stattfand. Wie war es möglich, dass Teile der Menschheit eine Leidenschaft für das hammerlose Hammerwerfen entwickelten? Selbst wenn es mit Hammer stattfände, wäre es auch nicht der … – äh, Hammer.

Die gängige Erklärung ist, dass die olympischen Wettkämpfe seit je eine Art Ersatzkrieg waren, sei es zwischen den Nationen und nationalen Ideologien, sei es zwischen Ost und West, Realsozialismus und Ausbeuterparadies. Wer erinnert sich nicht an das Basketballfinale 1972 zwischen den USA und der Sowjetunion? Oder an das ewige Duell der Kubaner und Amerikaner im Boxen? Oder daran, wie die kleine, durchtrainierte DDR der Medaillenspiegel-Schreck der restlichen Welt wurde?

Wer die Athleten heute betrachtet, hat nur noch Mitleid. Franziska van Almsick plagt sich da hinten im Feld ab, anstatt in aller Ruhe am Cappuccino zu schlürfen. Jan Ullrich bricht sich einen ab, dabei könnte er gut ein paar Pillen werfen in einem süßen Athener Nachtclub. Die Übertragung der anschließenden Orgie mit 120 Kameras, Reportern und Experten im Studio wäre einleuchtender als jede Hammerwurf-Session.

Das Desaster der völlig aus der Zeit gefallenen Veranstaltung namens Olympische Spiele wird sehr deutlich bei den Siegerehrungen, vorgenommen von dumpfen IOC-Frühstücksdirektoren, denen Langeweile und Stupidität ins aufgedunsene Gesicht gemeißelt ist. Entweder sie nehmen Drogen, oder sie brauchen welche – aber wahrscheinlich sind sie schon tot. Alte Männer, die nur einen Wunsch haben: kleine Mädchen küssen und dann mit einem Hammerwurf aus dem Elend erlöst zu werden. Sie sind die eigentlichen Helden von Athen. Wahrscheinlich gibt es extra für sie bei den nächsten Olympischen Spielen in Peking 2008 eine ganz neue Sportart: Siegerehrungen. Der mit dem ausgeleiertsten Gesichtsausdruck gewinnt. Und die Goldmedaille, die überreicht er sich dann bitteschön selber.

RAYK WIELAND