Der braune Schmäh

Die „Neue Kronen Zeitung“, Österreichs ekelhaftestes Boulevardblatt, darf seit Neuestem ganz legal rassistisch und antisemitisch genannt werden

AUS WIEN RALF LEONHARD

Seit Mittwoch ist es offiziell: die Neue Kronen Zeitung, Österreichs auflagenstärkste Tageszeitung, darf als rassistisch und antisemitisch bezeichnet werden. Mit dem Verzicht auf eine Berufung wird das bereits am 22. April ergangene Urteil gegen die Zeitung rechtskräftig. Krone-Herausgeber Hans Dichand, 83, hatte die Tageszeitung Der Standard auf Unterlassung derartiger Behauptungen verklagt. Anlass war ein vor einem Jahr erschienener Beitrag des Kolumnisten Hans Rauscher, der wiederum den Chef der WAZ-Gruppe, Erich Schumann, zitiert hatte. Schumann, dessen Konzern 1987 die Hälfte des Boulevardblatts übernahm, hatte Anfang 2003 von „argen nationalistischen oder antisemitischen Tönen“ in der Zeitung gesprochen.

Richterin Natalia Frohner ließ sich nicht dadurch beirren, dass Rauscher den WAZ-Chef irrtümlich mit „rassistischen und antisemitischen Tönen“ zitiert hatte. Die von der Verteidigung als Wahrheitsbeweis vorgelegte Dokumentation über fast zwanzig Jahre Meinungsmache in der Krone untermauerten für sie überzeugend den Vorwurf des Rassismus, Nationalismus und Antisemitismus. Darin werden vor allem die Spalten des 2001 mit 80 Jahren pensionierten Kolumnisten Richard Nimmerrichter alias „Staberl“ und die Gedichte des Hauspoeten Wolfgang Martinek alias Wolf Martin analysiert.

Die Verse Martins schmücken täglich die Kronen Zeitung. Besonders gern zieht der Reimeschmied über „Gutmenschen“ und Afrikaner her. Etwa am 17. August 1999: „Wenn Afrikaner, wie wir hören, / sich bei Europa nun beschweren, / dass sie daheim nur Kriege hätten, / woraus nur Flucht sie könne retten, / so sei geraten den Gesellen, / die Kriege eben einzustellen. / Und glaubt nur nicht, Europa wäre / stets schuld an jeglicher Misere! / Der Schwarze Kontinent ist reich, / nur Fleiß und Disziplin fehlt euch! / Europa hat's aus eig'ner Kraft / und nicht durch Bettelei geschafft!“

Die mehr als 50-seitige Dokumentation stützt sich in weiten Teilen auf Gutachten der renommierten Sprachanalytikerin Ruth Wodak, die sich viele Jahre mit unterschwelligem Antisemitismus und Rassismus in der Presse auseinander gesetzt hat.

Nimmerrichter war über 37 Jahre einer der führenden Meinungsmacher der Krone. In seinen Kolumnen setzte er Kindermord in einer NS-Rassenklinik mit Abtreibung gleich oder behauptete, „nur verhältnismäßig wenige der jüdischen Opfer sind vergast worden“, die meisten seien in Straflagern durch Misshandlungen und Epidemien gestorben – wie deutsche Kriegsgefangene in der Sowjetunion.

Ruth Wodak sieht in ihrem Gutachten darin „nicht nur eine Strategie der Aufrechnung von Opfern und des Relativierens von NS-Verbrechen“, es werde auch „impliziert, dass auch die Insassen beider Arten von Lager den gleichen Status gehabt hätten. Das würde bedeuten, dass die internierten Juden ‚Kriegsgefangene‘ gewesen seien und weiter, dass sich die Juden ‚im Krieg‘ mit dem deutschen Reich befunden hätten.“ Ähnliche Aussagen, direkt oder verschleiert, finden sich in dutzenden in von der Verteidigungsschrift zitierten Kolumnen und Gedichten. Nimmerrichter hatte seine Kommentare damit gerechtfertigt, dass er dem Volke aus der Seele spreche.

Die Kronen Zeitung, die im handlichen Kleinformat erscheint, erreicht rund 40 Prozent der lesefähigen Bevölkerung. Die Kampagnen der größten Zeitung Österreichs sind oft wahlentscheidend. 1998 erreichte die Auflage mit 1,07 Millionen Exemplaren einen Höhepunkt. Seither geht es zwar kontinuierlich bergab – doch mit durchschnittlich 845.616 Exemplaren täglich, bleibt sie unerreichbarer Marktführer. Die treuen Leser bestätigten ihrem Leibblatt in einer von Hans Dichand gern zitierten Umfrage, die „glaubwürdigste Zeitung Österreichs“ zu sein. Obwohl das Unternehmen hoch rentabel ist und seinem 83-jährigen Herausgeber jährlich mehrere Millionen Euro beschert, beantragt es jedes Jahr Presseförderung aus öffentlichen Mitteln. Die bekommt die Kronen Zeitung auch regelmäßig. 2003 waren es 262.146,80 Euro.