„Roter Millionär“ soll Premier werden

Ungarns Sozialisten wählen Ferenc Gyurcsány zum Kandidaten für das Amt des Regierungschefs

BERLIN taz ■ Etwas Kommunismus, etwas Kapitalismus und viele große Worte – das ist die Formel, mit der Ungarns Sozialisten derzeit einen Ausweg aus ihrer Orientierungs-, Führungs- und Regierungskrise suchen. Auf einem außerordentlichen, nichtöffentlichen Kongress wählten die Delegierten der Ungarischen Sozialistischen Partei (MSZP) am Mittwochabend mit Dreiviertelmehrheit den Noch-Sportminister Ferenc Gyurcsány zum Kandidaten für das Amt des Regierungschefs.

Der 43-Jährige war vor der Wende Funktionär des Kommunistischen Jugendverbandes, wurde nach 1989 zu einem der reichsten Geschäftsleute Ungarns und stieg erst vor zwei Jahren wieder in die große Politik ein. „Machen wir ein sehr gutes Ungarn“, formulierte Gyurcsány nach seiner Nominierung das verschwommene Motto seiner künftigen Regierung.

Es war nicht das Ende, sondern nur der Höhepunkt der politischen Krise, in der Ungarn derzeit steckt. Vergangene Woche hatte die Führung der Sozialisten den wegen seiner Autoritätsschwäche ungeliebten Regierungschef Péter Medgyessy in einem putschreifen Szenario zum Rücktritt veranlasst. Neuer Regierungschef sollte nach dem Willen der MSZP-Führung Péter Kiss werden, Medgyessys Kanzleiminister und altgedienter Parteifunktionär. Zugleich hatte auch Medgyessys Sportminister Ferenc Gyurcsány seinen Anspruch auf das Amt des Regierungschefs angemeldet und für seinen Plan die MSZP-Delegiertenbasis mobilisiert.

Ihre Niederlage nahm die MSZP-Führung fast erleichtert hin – als ob sie auf eine Persönlichkeit gewartet hätte, die den parteiinternen Intrigen und Querelen ein Ende setzt und eine klare Linie für Kurs, Inhalte und Identität vorgibt.

Unter Expremier Péter Medgyessy haben sich Ungarns makroökonomische Rahmenbedingungen verschlechtert. Das Land ist längst nicht mehr der wirtschaftliche Spitzenreiter der Region. Ausländische Investoren bevorzugen inzwischen Nachbarländer wie die Slowakei, Ungarn mangelt es an gut ausgebildeten Wirtschaftsfachkräften, die Staatsausgaben liegen zu hoch, die Inflation steigt.

Zwischen der Notwendigkeit von harten Wirtschaftsreformen und rücksichtsvoller Sozialpolitik konnten die Sozialisten mit Medgyessy jedoch keine klare Linie finden. Die liberalen Koalitionspartner des „Bundes Freier Demokraten“ (SZDSZ), einer ehemaligen Bürgerrechtspartei, haben ihr sozialliberales, radikaldemokratisches Profil weitestgehend verloren und sind ebenfalls zu einer konturlosen politischen Kraft verkommen.

Die vorerst letzte Rechnung für ihre erfolglose zweijährige Regierungszeit bekamen die Sozialisten im Mai präsentiert, als sie die Europawahlen haushoch verloren. Die Person des „roten Millionärs“ Gyurcsány soll den Sozialisten den Machterhalt bei den regulären Wahlen 2006 sichern. Manche Sozialisten hoffen gar, dass Gyurcsány eine Art „linker Viktor Orbán“ werden könnte – Orbán ist der strenge und autoritäre Chef der Jungdemokraten, der es binnen wenigen Jahren geschafft hat, aus einer linksalternativen Jugendpartei eine mächtige rechtskonservative Volkspartei zu machen.

Zumindest in seiner Wandlungsfähigkeit steht Gyurcsány Orbán in nichts nach. Der ehemalige kommunistische Provinzfunktionär arbeitete nach 1989 als Manager in Vermögens- und Investmentfonds und steht auf der Liste der hundert Reichsten Ungarns. Ganz im Sinne seiner Biografie kündigte Gyurcsány nach seiner Nominierung als Premier am Mittwoch an, dass Ungarn wieder attraktiv für ausländische Investoren werden müsse und eine ausgleichende Sozialpolitik brauche. Seinen Landsleuten verspricht er „Berechenbarkeit, Ruhe und Stabilität“. KENO VERSECK