Der Club der großen zwei

Arrogante deutsch-französische Vorstöße verärgern zunehmend die übrigen EU-Staaten und die Europäische Kommission

aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER

In der EU geht es derzeit ein bisschen zu wie bei Teenagern zum Schuljahresbeginn. Zehn Neue sollen in die Klasse kommen, weiß man. Die alte Mannschaft reagiert verunsichert und schließt sich noch enger in Grüppchen und Cliquen zusammen.

Ende April hatte Belgien zum so genannten „Pralinengipfel“ geladen, im ganz kleinen Kreis. Nur Luxemburg, Frankreich und Deutschland waren dabei, als die Idee eines eigenen EU-Hauptquartiers und enger Zusammenarbeit in Planungs- und Rüstungsfragen Gestalt annahm. Gestern präsentierten dann Gerhard Schröder und Jacques Chirac eine gemeinsame Wirtschaftsinitiative ihrer beiden Länder.

Am Samstag schon sind Tony Blair und wieder Chirac bei Schröder in Berlin zu Gast. Da wird es erneut um europäische Verteidigungspolitik gehen, konkret um die Frage, unter welchen Bedingungen die EU bereit ist, den USA im Irak aus der Patsche zu helfen. EU-Außenkommissar Chris Patten, der dem Irak am Mittwoch einen Blitzbesuch abstattete, hätte sicher Nützliches beitragen können. Er soll herausfinden, welche Hilfe und wie viel Geld die EU-Mitglieder bei der Irakkonferenz Ende Oktober in Madrid sinnvollerweise anbieten. Dennoch werden sie in Berlin auf seinen fachlichen Rat lieber verzichten. Schließlich macht Chris Patten in Zeitungskolumnen keinen Hehl daraus, dass er die Besatzungspolitik der Bush-Blair-Koalition für ausgemachten Schwachsinn hält.

Die EU-Cliquenwirtschaft der vergangenen Monate beschränkt sich keineswegs auf die großen Länder und die Irakfrage. Die zehn Zwerge in der Union haben mehrere Versuche gestartet, ihrerseits bei regelmäßigen Treffen eine gemeinsame Linie zu finden. Auch die Neuen glucken schon zusammen und loten Gemeinsamkeiten aus. Dennoch ist allen klar: Wer mit entscheiden will, muss zum Chirac-Schröder-Club gehören. Deshalb haben Spaniens Regierungschef Aznar und Italiens Berlusconi so verschnupft darauf reagiert, dass sie am Samstag in Berlin nicht eingeladen sind. Deshalb werden die gemeinsamen Kabinettssitzungen von Franzosen und Deutschen, deren zweite gestern in Berlin stattfand, von allen anderen so misstrauisch beäugt.

Politik lebt von Symbolik. Die große deutsch-französische Geburtstagsparty im Januar zum 40. Jahrestag der Élysée-Verträge kam bei den Freunden in der alten und der erweiterten EU gar nicht gut an. Ein deutsch-französischer Verteidigungsrat? Ein Pass für Staatsangehörige beider Länder? Grenzübergreifende Regionen? Und nun auch noch eine gemeinsame Wirtschafts- und Sozialpolitik? Was Le Monde den „Embryo einer europäischen Wirtschaftsregierung“ nennt, ist nach Meinung vieler Mitgliedsländer zwar längst überfällig.

Auch die EU-Kommission betont immer wieder, dass eine gemeinsame Währung und gemeinsame Binnenmarktregeln Stückwerk bleiben, solange Sozialversicherungssysteme, Steuern und Konjunkturpolitik in jedem Mitgliedsland anders geregelt sind. Binnenmarkt-Kommissar Bolkestein schnitzt derzeit zum Beispiel an einem Mitbestimmungsmodell für multinationale Unternehmen.

Doch als deutsch-französische Initiative stößt der Plan bei allen auf Ablehnung, ganz unabhängig davon, ob sie die skizzierte Richtung hin zu mehr Staatsschulden und mehr öffentlichen Investitionen für zielfördernd halten oder nicht. Der arrogante Stil, in dem Deutsche und Franzosen derzeit vorführen, dass die übrigen dreizehn und die EU-Kommission bleiben können, wo der Pfeffer wächst, verärgert mögliche Bündnispartner.

Schon letzten Herbst, als Schröder und Chirac in Brüssel beim Frühstück die Agrarreform beerdigten und alle anderen inklusive der dänischen Präsidentschaft den faulen Kompromiss nur noch absegnen konnten, wuchs das Misstrauen gegen deutsch-französische Initiativen. Auch der österreichische Agrarkommissar Franz Fischler, der die sorgfältig austarierten Reformvorschläge in den Papierkorb werfen musste, war nicht erfreut.

Wenig später verständigten sich die beiden Großen, es mit der Haushaltsdisziplin in der jetzigen Konjunkturlage nicht so genau zu nehmen. Der Stabilitätspakt, so signalisierten sie, taugt nicht für ihre Probleme, sollte von den übrigen dreizehn aber umso penibler respektiert werden. Da im Ministerrat vierzehn einig sein müssen, bevor der fünfzehnte Strafe zahlt, können sich die Finanzminister beider Länder entspannt zurücklehnen. Sie geben sich einfach gegenseitig ein Alibi.

Die gleiche Haltung zeigt Frankreichs Finanzminister Francis Mer auch im Streit um eine 300-Millionen-Finanzspritze und Kredite in gleicher Höhe für den angeschlagenen Industriekonzern Alstom. Nach dem Motto: Was Schröder bei Holzmann erlaubt war, kann Chirac bei Alstom nicht verboten werden, fädelte er die Hilfen ein, ohne sich eine Genehmigung von der EU-Kommission zu holen. Die reagierte sauer und hat das Hilfspaket zunächst gestoppt. Ob sie hart bleibt, ist fraglich. Es geht schließlich um 120.000 Arbeitsplätze.

Die Finanzminister Hollands und Österreichs haben ihren Kollegen gestern via Berliner Zeitung mitgeteilt, sie gefährdeten durch ihr Verhalten die Glaubwürdigkeit der europäischen Finanzpolitik. Der Unmut der Zwerge wird immer vernehmlicher. Und wenn demnächst neun weitere kleine Län- der mit am Tisch sitzen werden, könnte der Chirac-Schröder-Club seine Meinungsführerschaft schnell wieder einbüßen.