Tourismus mit Kanonendonner

Die Soldaten trinken Bier aus Stiefeln, sie feiern ihre Rückkehr „in die Heimat“„Dass alle hier Englisch sprechen, ist doch einmalig“, sagt der Bürgermeister

AUS BAUMHOLDERKLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

„P.T. aus Arizona von dem Stamme der Apachen lebte ziemlich gut in K-Town Germany. War GI und bei der Army, na, und Sehnsucht nach den Staaten hatte P.T. der Apache eigentlich nie. Nur im Herbst, wenn bunte Vögel über K-Town südwärts zogen, sagte P.T. manchmal leise zu sich: Uff. Und dann trank er sehr viel Bourbon, stieg in seinen alten Chrysler und fuhr rüber nach Karlsruhe in den Puff“

(F.-J. Degenhardt 1966)

Sehnsucht nach den Staaten hat auch gut dreißig Jahre nach dem Vietnamkrieg kaum ein in Good Old Germany stationierter GI. Zwischen Pfälzer Wald und Hunsrück in den Housing Areas ist das Leben eben „much more comfortable“ als etwa in einem Wüstencamp in Arizona oder Texas. Das jedenfalls sagt Sam Kennedy, der 28-jährige Sergeant einer Artillerieeinheit der 1. US-Panzerdivision, die in Baumholder stationiert ist, dem bundesweit größten Standort US-amerikanischer Kampftruppen.

Sergeant Kennedy weiß, wovon er redet. Zusammen mit rund 1.000 seiner Kameraden kam er erst vor zwei Woche aus dem Krieg zurück, das Bataillon lag vor Bagdad im Sand. Kennedy wurde vor zehn Jahren als „Frischling“ in einem dieser Wüstencamps der Army in Arizona für den Einsatz gedrillt. Von dort aus sei es in die nächste Stadt sehr viel weiter gewesen als von Baumholder nach „K-Town“ Kaiserlautern, oder nach Karlsruhe – zu „Ritas Puff“.

Zurück in die Staaten ziehe es ihn deshalb ganz bestimmt nicht, sagt Sam Kennedy im „Chuckwagon“, einem Fast-Food-Restaurant in der Altstadt von Baumholder, das von der Familie Oswald betrieben wird. Die Kameraden am Tisch, die schon am Mittag Bier aus Stiefeln trinken, stimmen alle zu. Seit Tagen schon feiern sie ihre Rückkehr „in die Heimat“. Die angesparten Dollars wollen schließlich unter die Leute gebracht werden. „Big Party“ also überall in den rund 50 Gaststätten und Kneipen in Baumholder. Und alle haben geflaggt. Die Bundesfahne flattert neben dem Sternenbanner, und an den Türen zu den Geschäften hängen Plakate: „We belong together!“ und „Welcome home friends!“

Burger und Hot Dogs mit Chili stehen im „Chuckwagon“ auf der Speisekarte. Zieht die Division ab, gehen im „Chuckwagon“ die Lichter aus. Und nicht nur dort. Existenzängste plagten fast alle Geschäftsleute, seit Präsident George W. Bush in der vergangenen Woche den Abzug von rund 70.000 GIs aus Westeuropa und Asien angekündigt habe, sagt die Reisebürokauffrau Rita Schübelin vom Reisecenter Westrich, das sich auf „Special Flights to USA“ spezialisiert hat. Und die GIs buchen gerne bei der schönen und akzentfrei englisch sprechenden jungen Frau ihre Urlaubsreisen in die Staaten. Ziehen „die Amis“ ab, befürchtet sie Umsatzeinbußen von bis zu 40 Prozent. Dazu komme, dass sie dann wohl auch die Mieter der 100 Quadratmeter großen Wohnung über dem Reisebüro verliere. Die vierköpfige Offiziersfamilie, sagt sie, habe doch bislang „unser Häuschen abbezahlt“.

Das sei nach einem Abzug oder Teilabzug der US-Streitkräfte das eigentliche Problem vieler Menschen in Baumholder, meint auch Volkmar Pees, der SPD-Bürgermeister der Verbandsgemeinde, zu der neben Baumholder noch dreizehn weitere Kommunen gehören. Hunderte von Häusern seien mit geliehenem Geld gebaut und dann ganz oder teilweise an „die Amis“ vermietet worden. Das „Geheule“ über die schlechte Nachricht aus Washington sei bei den rund 500 Vermietern gerade aus den verkehrsberuhigten Vierteln groß, sagt Pees. Aber die „ganze Jammerei“ helfe der Stadt nicht weiter.

Was aber dann? Schließlich ist Baumholder mit seinen knapp 5.000 deutschen Einwohnern – bei rund 13.000 US-Staatsangehörigen in der Verbandsgemeinde – extrem abhängig von den Dollars der GIs. Rund 200 Millionen Dollar Sold bekommen die in Baumholder stationierten Soldatinnen und Soldaten pro Jahr ausbezahlt. Etwa zehn bis zwanzig Prozent davon – bis zu 40 Millionen Dollar – blieben „in Baumholder hängen“, weiß der Bürgermeister. Und mehr als 600 Frauen und Männer aus Baumholder arbeiten als Zivilangestellte für „die Amis“. Rechnet man deren Familienangehörige dazu, lebt gut ein Drittel direkt vom Geld der US-Streitkräfte.

Die Gastronomie, wie sie sich heute präsentiert, ist nahezu komplett von den Amerikanern abhängig. In der Kleinstadt gibt es mehr Frisöre als knapp 5.000 deutsche Köpfe brauchen, auf die Kundschaft aus den Kasernen spezialisierte Versicherungsbüros und Videoläden, und „used Cars“ werden an fast jeder Ecke angeboten. Auch bei McDonald’s liegen die Nerven blank. Ganz Baumholder werde „brachliegen“, wenn die Panzerdivision, die am Standort aus zwei Panzer- und einem Artilleriebataillon besteht, abgezogen würde, glaubt der Geschäftsführer dort. Nicht nur, dass dann keine „Amis“ mehr kommen, macht ihm Sorgen. Auch die Deutschen hätten nach einem Truppenabzug schließlich nicht mehr so viel Geld in der Tasche wie – „Gott sei dank!“ – noch heute.

Während man bei der von den Geschäftsleuten organisierten Vereinigung „pro Baumholder“ noch darauf setzt, dass Bush im November die Präsidentschaftswahl verliert und danach der angekündigte Truppenabzug vielleicht doch weit weniger drastisch ausfallen könnte, hat sich Bürgermeister Pees damit abgefunden. Es mache für die US-Streitkräfte und auch für die Nato doch keinen Sinn mehr, 15 Jahre nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Regimes in Osteuropa hier noch Panzerverbände mit mehr als 5.000 Soldaten stationiert zu haben.

Was aber die US-Armee wie auch die Bundeswehr und die Armeen etwa von Frankreich oder auch den Niederlanden brauchten, seien die Schießplätze auf dem rund 14.500 Hektar großen Truppenübungsplatz rund um Baumholder. „Militärtourismus“ sei deshalb eine Option. Unterkünfte und Biwakplätze für rund 3.000 Soldaten seien dort schließlich schon vorhanden, dazu rund 50 Schießplätze für Panzer und Artillerie.

Im Wald dort könne der Nahkampf geübt werden, und in den Resten der rund zehn Dörfer, die 1936 für den Truppenübungsplatz für die Wehrmacht zerstört wurden, auch der Häuserkampf. Die Bundeswehr sei jetzt aufgefordert, ihr Kontingent aufzustocken. Das Heer unterhält auf dem Truppenübungsplatz derzeit eine Fahrschule mit 25 Soldaten.

Eine Konversion im eigentlichen Sinne sei der avisierte „Militärtourismus“ nicht, räumt der Bürgermeister ein, „aber eine Perspektive für die Stadt“. Eine andere ist die „Urlaubsregion Baumholder“. Die Wälder auf dem seit knapp 70 Jahren militärisch genutzten Gebiet seien „unberührt“, sagt Pees – und Baumholder vor der Militarisierung ein Luftkurort mit Fremdenverkehr gewesen. Ferienspaß bei permanentem Geballere aus Kanonenrohren? Ganz ausgereift scheint die Idee noch nicht.

Aber ein Anfang ist gemacht. Die Firma „Natur und Freizeit“ hat einen Hochseilgarten eingerichtet, in dem Topmanager seit einigen Monaten „ihre eigenen Grenzen entdecken und lernen, sich selbst zu überwinden“, wie es in einer aktuellen Tourismusbroschüre der Verbandsgemeinde heißt. Und beim Mountainbiking in einem nicht mehr genutzten Teil des Truppenübungsplatzes machen „die Amis“ schon heute gerne mit, besonders die Soldatinnen. „Downhill Woman Special“ heißt ein Angebot der Firma „the-b-site“.

Bürgermeister Volkmar Pees gefällt das alles. Es ärgert ihn ohnehin, dass in Baumholder nur über „die Dollars“ geredet werde. Man habe schließlich über die Jahrzehnte hinweg auch kulturell profitiert; insbesondere von der „lockeren Art der Amis“. Und dass alle Einwohner in Baumholder selbstverständlich Englisch sprechen, sei doch auch „einmalig in Deutschland“. Pees will das bewahren – mit der „Option Militärtourismus“. Geld würden die Soldaten aus den anderen Nato-Staaten auch in der Stadt lassen, die dann vielleicht zu Übungszwecken in die Gegend von Baumholder kommen.

GIs, die bei einem Abzug der 1. Panzerdivision den Dienst quittieren und in Baumholder bleiben wollten, sind Pees herzlich willkommen. Und sollten sie eine Frau aus Baumholder heiraten, traut er die deutsch-amerikanischen Paare – so wie bis heute einige hundert. Denn eines dürfe Baumholder nach einem Abzug der US-Truppen bestimmt nicht wieder werden: „Eine verschnarchte deutsche Kleinstadt ohne internationales Flair.“ Zum Altstadtfest am letzten Wochenende, das rasch zum Willkommensfest für die GIs aus dem Irak umfunktioniert wurde, wehten wieder Fahnen: neben der deutschen Flagge und dem Sternenbanner jetzt auch die französische und die holländische Trikolore. Die Zukunft hat begonnen – in Baumholder.