Kein Verzicht, kein Umweg

Wer nachhaltig leben will, muss seinen Alltag nicht wirklich umkrempeln. Eine Berliner Familie macht vor, wie es geht: mit dem „nachhaltigen Warenkorb“. Gepackt wurde dieser von Experten aus Forschung, Politik und Wirtschaft

von KIRSTEN KÜPPERS

Martin Baumert geht einkaufen. In einer gewöhnlichen Filiale der Handelskette Plus. Es ist der billigste Laden in der Gegend, und es ist der Supermarkt, in dem der 32-jährige Steuerfachangestellte seit Jahren einkaufen geht. Martin Baumert kennt das Sortiment, er kennt die Kassiererin hinter der Kasse und das Rauschen der Klimaanlage. Aber wer denkt, dass sein Einkauf deswegen ein schneller, unkomplizierter Vorgang wäre, der irrt.

Martin Baumert guckt und rechnet und prüft. Er nimmt eine Tüte Milch in die Hand, hält sie sich vor die Brille, stellt sie wieder zurück. Die Milch ist billig, die Nudeln und das Obst auch. Nur sparsam einzukaufen wäre also einfach – und Martin Baumert muss auch haushalten mit seinem Geld, denn er hat eine Familie zu ernähren und eine Eigentumswohnung abzubezahlen. Doch was das Einkaufen für ihn zu einer kleinen Recherchereise macht, ist, dass er zudem auf die Nachhaltigkeit seiner Einkäufe achtet. Sein Obst und Gemüse sollen biologisch angebaut sein und aus der Region kommen, er sucht nach Biosiegeln und Pfandverpackungen und kauft keine ressourcenintensiv hergestellten Tiefkühlprodukte mehr. Äpfel aus Chile, Erdbeeren im März oder Kekse in Dreifachverpackung sind tabu.

Wer nicht glauben kann, dass die Kombination aus günstig und nachhaltig auch funktioniert, der muss Martin Baumert nur zur Kasse folgen: Drei Einkaufstaschen hält er hoch, alle sind voll mit Bioprodukten – und der ganze Einkauf kommt ihn nur 5 bis 20 Prozent teurer als ein Einkauf ohne Nachhaltigkeit. „Ich gehe eigentlich nur noch zu Plus“, sagt Martin Baumert und lächelt. Denn er weiß genau, wie sehr er Bioskeptiker damit überrascht. Er muss keine Umwege in Bioläden machen, er muss auf nichts verzichten.

Bekommen hat er die Idee, nachhaltig zu haushalten, vor zwei Jahren. In einer Fernsehsendung wurden Familien gesucht, die sich als Testhaushalte für den „nachhaltigen Warenkorb“ zur Verfügung stellen. Die Familien sollten ihr Konsumverhalten vier Wochen lang unter nachhaltigen Gesichtspunkten beobachten. Ob man sich für Tiefkühllasagne entscheidet oder ein Mittagessen frisch zubereitet, ob man einen PVC-Bodenbelag kauft oder einen umwelt- und sozialverträglich zertifizierten Teppich wählt, ob man einen Kurzurlaub nach Mallorca plant oder mit der Bahn in die Sonne reist, solche Dinge.

Nach der Sendung hat sich Martin Baumert bereit erklärt, bei der Sache mitzumachen. Schon immer sei er ein umweltbewusster Mensch gewesen, erklärt er, jetzt ging es darum, „ökologischen Einfluss zu üben als Konsument“. Er und seine Frau mussten protokollieren, aus welchen Gründen sie ein Produkt gekauft hatten, ob es ein regionales Erzeugnis war oder ein importiertes, ob es einfach war, es zu besorgen, oder kompliziert. Die ausgefüllten Fragebögen schickten sie an den von der Bundesregierung eingesetzten Nachhaltigkeitsrat in Berlin. Eine Institution, die vorgerechnet hat, dass jeder Deutsche durchschnittlich 7-mal mehr Energie verbraucht als ein Mensch in den Entwicklungsländern.

Ihr Leben musste Familie Baumert nicht umkrempeln deswegen – und war selbst erstaunt darüber. Martin Baumert hat vorher bei Plus eingekauft, er kauft jetzt noch bei Plus ein. Aber seit er den nachhaltigen Warenkorb kennt, packt Martin Baumert nur noch Produkte mit Biosiegel in seinen Wagen. Er achtet bei Waschmitteln auf ein Umweltverträglichkeitszeichen. Er kauft sich kein Auto, dafür aber teurere Schuhe, die länger halten als ein Jahr. Familie Baumert lebt schon lange in gebrauchten Möbeln, was ressourcenschonender ist, nun ist sie auch noch zu einem Ökostromanbieter gewechselt. Der letzte Urlaub war ein Fahrradausflug in Brandenburg, übernachtet wurde im Zelt.

Martin Baumert hat festgestellt, dass man auch ohne viel Geld nachhaltig leben kann, und er sagt neuerdings Sätze wie: „Es gibt keine Ausreden mehr, jeder kann mitmachen, wenn er nur will“ und „Auf Bioprodukte und Nachhaltigkeit achten ist wie täglich einen Wahlzettel für eine bessere Welt abgeben“.

Wie er das sagt, klingt das alles ganz herrlich. Doch wie gefällt Frau Baumert das alles eigentlich? Stephanie Baumert ist 27 Jahre alt und auf Mauritius geboren. Einer Insel im Indischen Ozean, wo keiner seinen Müll trennt oder über den Wahnsinn von Plastikverpackungen nachdenkt. Stephanie Baumert sitzt da und lacht. „Das war die Idee von meinem Mann“, sagt sie, „ich wäre da nie drauf gekommen!“ Dennoch findet sie das alles ganz gut mit der Nachhaltigkeit, die sie jetzt hier in der Familie praktizieren; auch wenn ein durchschnittlicher Einkauf viel länger dauert als früher. Sie erzählt von dem vielen Obst und Gemüse, das nun auf den Tisch kommt; dass auch ihr vierjähriger Sohn inzwischen Spinat mag, und dass die ökologischen Lebensmittel ja alle sehr gesund sind. Irgendwann fügt sie dann doch hinzu, dass es manchmal aber auch Streit gibt deswegen. Weil ihr Mann das mit der Nachhaltigkeit auch übertreiben kann. Zum Beispiel bei den Putzmitteln. Stephanie Baumert möchte gerne Meister Proper benutzen. Sie hat nichts gegen Chemie beim Putzen, „es wird einfach sauberer dadurch“.

Martin Baumert sieht das anders. Er kauft biologisch abbaubaren Allzweckreiniger. Der Streit der Eheleute Baumert in dieser Frage ist noch nicht entschieden. In einer anderen Angelegenheit allerdings schon. „Vollkornnudeln schmecken uns nicht“, sagt Martin Baumert, „da hört auch bei mir der Spaß auf.“