Scheitern ist Nullpunkt und Neustart

Sieben „Kreativtalente“ der Praktikumsinitiative „creative village“ haben mit der taz „Das Buch des Scheiterns“ herausgegeben

von HEIKE SCHMITT

Ein Anruf: „Du bist dabei, Herzlichen Glückwunsch!“ Darauf am Telefon in Bremen, Stuttgart, Marburg, Berlin, Groningen, Köln, Stuttgart und Wien jede Menge Erleichterung und Jubel. Neun junge „Kreativtalente“ wurden vergangenes Jahr im August für die Berliner Praktikumsinitiative creative village ausgewählt. Eine Jury von zehn Personen der beteiligten Unternehmen taz, Scholz & Friends und (damals noch) Pixelpark hatte aus mehreren hundert Bewerbungen aussortiert und in Berlin zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Fünf Mädels, vier Jungs (Texter, Journalisten, Grafik-Designer) – das wurde die hochexplosive Mischung für das neue, 11. Semester im „kreativen Dorf“. Sechs Monate in Berlin, weder Freund noch Feind, aber gemeinsam auf der Schwelle zum Erwachsenwerden, bereit durchzustarten.

Das war letztes Jahr, Anfang Oktober. Fast ein Jahr später bei Pixelpark: ein Büro, voll ausgestattet mit G 4 und IMacs, auf dem Boden verteilt 208 Buchseiten, voll gespickt mit bekritzelten kleinen gelben Zettelchen „Hier Rand neu“, „Komma hin“. Leere Flaschen Multivitaminsaft auf dem Boden und bei den sieben ExpraktikantInnen rote Backen sowie erhitzte Gemüter nach der x-ten Nacht ohne Schlaf: nach 24 Stunden Dauereinsatz am Rechner. Im Eifer des Gefechts bloß nichts übersehen, hoffentlich sieht das Silber auch gut aus, wie funktioniert denn das Cover – abstimmen, zustimmen, streiten, vertragen, auf jeden Fall weitermachen, nur noch vier Tage.

Während des halben Jahrs im creative village entstand die Idee zu „sch – Das Buch des Scheiterns“. Ziel war es, gemeinsam ein Projekt zu realisieren – neben dem Praktikumsalltag in der Werbung, bei der Zeitung, an der Journalistenschule oder der Kreation bei Pixelpark. Etwas Unmögliches möglich machen war eine erste Vision. Dieter Bohlen trifft Christian Mikunda, Professor für Publizistik und Psychologie an der Universität Wien. So oder so ähnlich wild sollte es sein. Unkonventionell und gegen das PR-optimierte Voll-Plaste-Image der kreativen Superheroes aus dem kreativen Dorf. Etwas zu Pop ernennen, was vorher auf der Straße lag. „Scheitern“ wurde zum Thema. Daran scheitern ausgeschlossen. Ein Buch gegen den Einheitsbrei der Resignierten, gegen die Jammerstimmung in Deutschland. Scheitern revoluzzen und in seinen unterschiedlichen Härtegraden zu zeigen, das war die Idee hinter dem Projekt mit Langzeitfolgen. Einen negativ konnotierten Begriff neu erfinden: Scheitern ist Nullpunkt, aber weit mehr Neustart. Denn es heißt auch neue Chancen wahrnehmen zu können, Hirn aufräumen.

Die taz war es schließlich, die das Potenzial erkannte. An irgendeinem Donnerstag im März 2003, der letzte Monat des Praktikums – im Pavillon der taz in der Berliner Kochstraße traf man sich mit der Geschäftsführung, um ein Buchprojekt zu präsentieren, an das zumindest schon mal sieben junge Leute fest glaubten. Zwei Stunden später stand fest: „sch – Das Buch des Scheiterns“ wird produziert.

Ende März war die Zeit im kreativen Dorf vorbei. Gefunden hatte sich jedoch eine Gruppe mit Lust auf mehr. Bereit, das Buchprojekt jetzt wirklich durchzuziehen mit der Unterstützung der taz. Pixelpark stellte die Räumlichkeiten, um weiter arbeiten zu können. Externe Autoren wurden akquiriert, um dem Buch zusätzliches Potenzial zu geben. Mit Michael Ebmeyer konnte zum Beispiel ein junger erfolgreicher Autor („Plüsch“, Kiepenheuer & Witsch) hinzugewonnen werden. Um die Vielfältigkeit von Scheitern zu erfassen, wurden „Scheiterbögen“ verteilt. Fragebögen, die an unterschiedlichste Menschen, Unternehmer, Studenten, verschickt wurden – die gierige Suche nach dem Scheiterpotenzial in uns allen, nach dem Gefühl danach oder kurz davor. Aus den unterschiedlichen Interessen von Tanja Scherer (25), Sevgi Isaak (25), Christine Coring (26), Heike Schmitt (26), Herbert Möckel (27), Nina Mayrhofer (24) und Peter Peszleg (27) wurde ein großes Gemeinsames.

Als der erste Dummy von der Druckerei übergeben wurde, war das ein wirklich feierlicher Augenblick – die Sichtung des Plots mit dem Silberbogen eine Art Richtfest für Kreativtalente. Endlich greifbar, endlich geschafft: der Beweis, dass sich Scheitern zumindest in Buchform verdammt gut anfühlt. Der nächste Schritt weiter mit der taz, diesmal zur Buchmesse Anfang Oktober. Und danach wird es das Buch zum Scheitern auch im taz-Shop für taz-LeserInnen angeboten. Die freudig erwartete Konsequenz aus Beharrlichkeit und einem ehrgeizigen Projekt: „sch – Das Buch des Scheiterns“. Daran scheitern auch weiterhin ausgeschlossen.

Heike Schmitt, 26, absolvierte den 11. Jahrgang des creative village. Zuvor studierte sie Neuere Deutsche Literatur und Medien, Politik und Europäische Ethnologie in Marburg. Sie lebt in Berlin und arbeitet als Journalistin und Werbetexterin.