Der Kampf der Prediger

Beide haben zum Marsch auf Nadschaf aufgerufen. Die Ankunft al-Sistanis nährt Hoffnung, die al-Sadr zerstören kann

VON BEATE SEEL

„Ich bin zum Wohl von Nadschaf gekommen und werde in Nadschaf bleiben, bis die Krise beendet ist.“ Mit diesen Worten wandte sich Großajatollah Ali al-Sistani gestern bei seiner Ankunft in der südirakischen Stadt an seine Anhänger. Er war am Morgen aus dem südirakischen Basra aufgebrochen, um im Konflikt mit dem radikalen Prediger Muktada al-Sadr zu vermitteln. Al-Sadr und seine Miliz, die Mahdi-Armee, halten die Imam-Ali-Moschee seit drei Wochen besetzt. Sie ist von US-Truppen und irakischen Soldaten eingeschlossen. Beide religiöse Führer hatten am Vortag zu einem Marsch auf Nadschaf aufgerufen.

Al-Sistani traf an der Spitze von mehreren tausend Menschen in der Stadt ein. Auf der 400 Kilometer langen Stecke zwischen Basra und Nadschaf säumten Anwohner die Straßen. Der Konvoi füllte die Fahrbahn auf ihrer ganzen Breite. Tausende Autos, Lieferwagen, Kleintransporter und Busse waren, voll besetzt mit Gläubigen jedes Alters, unterwegs. Dutzende Fahrzeuge der Polizei und der irakischen Nationalgarde und Hubschrauber eskortierten al-Sistanis Geländewagen.

Nach seiner Ankunft begab sich der Geistliche in eines seiner Häuser in der Nähe der Moschee. Zuvor hatte er seine Anhänger aufgerufen, Nadschaf erst nach Beginn der Friedensgespräche zu betreten. Zahlreiche Menschen drangen aber durch den Südeingang in die Moschee ein. Ob es sich dabei um Anhänger al-Sistanis oder al-Sadrs handelte, war zunächst nicht bekannt.

Der Friedensplan Sistanis sieht einen gleichzeitigen Abzug der Mahdi-Armee aus der Moschee und der US-Soldaten aus der Stadt vor. Verhandlungen über einen Mechanismus des Abzugs wurden unmittelbar nach der Ankunft Sistanis aufgenommen. Sayed Mohamed al-Musawi, ein enger Mitarbeiter des Großajatollahs, sagte gegenüber dem britischen Rundfunksender BBC, er hoffe, dass das Problem binnen 24 Stunden gelöst sei. „Die Miliz kann sich dem Befehl Sistanis nicht widersetzen. Jeder muss ihm gehorchen, auch die Regierung“, fügte Musawi hinzu. Sistani ist nach schiitischem Verständnis die höchste Autorität des Landes. Musawi wies darauf hin, dass die Mehrheit der Iraker von den Kämpfen in Nadschaf genug habe. Al-Sadr und seiner Miliz drohe der Tod, falls sie die Moschee nicht verlasse. Andere Mitarbeiter Sistanis erklärten, Nadschaf und Kufa sollten waffenfreien Zonen werden und die ausländischen Truppen durch irakische Polizisten ersetzt werden. Im Falle eines Abzugs soll al-Sadr und seiner Miliz Straffreiheit gewährt werden. Laut einer Erklärung signalisierte dieser, dass er Sistanis Friedensplan akzeptieren werde.

Am Vortag waren Musawis Angaben zufolge zwei Minister aus Bagdad nach Basra gereist, wo sich Sistani nach seiner Rückkehr aus London aufhielt. Über den Inhalt der Gespräche wurde nichts bekannt, aber die Minister hätten Sistani ihre volle Kooperation zugesichert, berichtete al-Musawi.

Die dreiwöchigen Kämpfe in Nadschaf haben die Autorität der Interimsregierung bereits untergraben. Angesichts des Konflikts verfuhr sie zweigleisig: Sie befürwortete Vermittlungsversuche und drohte mit einem militärischen Vorgehen gegen die Miliz. Immer neue Ultimaten des Verteidgungsministeriums waren jedoch nicht dazu angetan, das Vertrauen in die militärische Führung des Landes zu stärken. Um von Sistani nicht völlig an den Rand des Geschehens gedrägt zu werden, verkündete Regierungchef Allawi gestern Vormittag schnell noch eine 24-stündige Waffenruhe für Nadschaf. Doch es ist Sistani, auf den sich gestern alle Hoffnungen richteten.

Dabei hatte der Tag gar nicht hoffnungsvoll begonnen. Bei Anschlägen und Gefechten in Kufa und auf dem Weg nach Nadschaf kamen nach Angaben des Gesundheitsministeriums 74 Menschen ums Leben; 376 wurden verletzt. In Kufa, das in der Nähe von Nadschaf liegt, wurden mindestens 25 Anhänger al-Sadrs getötet, als Granaten in eine vollbesetzte Moschee einschlugen. Mehrere hundert Menschen hatten sich dort versammelt, um anschließend gemeinsam nach Nadschaf zu ziehen. Anhänger al-Sadrs halten auch die Moschee von Kufa besetzt. Etwa zur selben Zeit kamen zwanzig Gefolgsleute Sistanis ums Leben, die auch auf dem Weg nach Nadschaf waren. Wer hinter den Anschlägen steckt, ist nicht bekannt. Am Stadtrand von Nadschaf eröffnete die Nationalgarde das Feuer auf Al-Sadr-Anhänger, die von Kufa und Diwanija zur Imam-Ali-Moschee ziehen wollten. Insgesamt machten sich zehntausende Iraker auf den Weg in die Stadt.