Vorbildliche Klangmaschinen

Bald 30 Jahre ist es her, dass eine schwedische Band via Grand Prix Eurovision für die Ansprüche europäischer Unterhaltungsmusik neue Standards setzte: unvergessliche Abba-Sounds für einen alten und wehmütigen Kontinent

von JAN FEDDERSEN

Alles eine Frage des Sounds: Lag es daran, dass Arrangeur Michael Tretow im Stockholmer Polarstudio die ersten Songs von Björn Ulvaeus und Benny Andersson so mischte, als müsse dem breitwandigen Klangteppich von Motown die allerehrlichste Referenz erwiesen werden? Oder hatte Manager Stikkan Andersson nur den ausländischen Markt im Visier, der doch auf frohe, optimistische Angebote nur zu warten schien?

Falsch: Abba, wie Ulvaeus und die beiden Anderssons das Projekt nannten, waren (und sind) erfolgreich, legendär und verehrt wie einst, weil ihre Songs einerseits auf die multikulturellen Bedürfnisse einer internationalen Popgemeinde zusteuerten, andererseits weil Lieder wie „Waterloo“, „Fernando“ oder „Dancing Queen“ (aus der Teenagerphase bis 1977), Songs wie „Chiquitita“ oder „Summer Night City“ (aus der Erwachsenenära bis 1982) alle Motive eines aufgeklärten Kontinents musikalisch aufnahmen: Vergnüge dich, aber nicht auf Kosten anderer; habe deinen Spaß, aber sei nicht rücksichtslos; denk an die Menschen in der Dritten Welt, denen es nicht so gut geht wie dir; trau dich, sei melancholisch und ganz bei dir; wage dein eigenes Tempo, nutze die Nacht für dein Leben. Alles in allem das volle Programm sozialdemokratischer Behutsamkeit, typisch schwedisch eben: Leiste dir ein tolles Leben, aber mit Bedacht. Abba bedienten mit ihren Rhythmen, den Grooves, Hooks – und eben ihren Melodien zwei Popgenerationen zugleich. Jugendliche brauchten sich nicht zu schämen, wenn deren Eltern es auch mochten; Eltern, die nie wissen, wie ihre Kinder ticken, sorgten sich um sie, Abba im Ohr, nur in Maßen.

Genug von Männern geredet, denn Abba, das Phänomen, das Mirakel, das Mysterium, erschließt sich erst, wenn man die beiden Frontsängerinnen mithört: Frida, die dunkle der beiden, stimmsicher, eher kühl und dunkel im Timbre, ewig unter ihrer Kombattantin Agnetha leidend, weil die nicht so gut, aber höher singen konnte – und nach Meinung von realistischen Beobachtern (wie die britische Popkritikerin Julie Burchill) nicht nur im Vergleich mit Frida über einen Arsch verfügte, wie er knuspriger nicht sein könne.

Aber ist das schon schwedisch – ausgerüstet zu sein mit Körperpartien, die im erweiterten Sinne zum Arsenal des Spiels der Verführung zu zählen sind? Nein. Abba, gehasst in den besseren Kreisen ihrer Heimat zu aktiven Zeiten, weil sie eben keinen Bildungsbürgerfolk fabrizierten, sondern gut amerikanisch zunächst Erfolg haben wollten, Abba sind so schwedisch wie Ikea, Astrid Lindgren und Henning Mankell in einem. Sie erzählen Geschichten, auch durch sich selbst – zwei Paare, die ohne einander nicht konnten und doch zusammenhingen; sie sind praktisch orientiert, sodass niemand sich in ihre Musik etwas hineindenken muss, wenn er oder sie es nicht will. Und sie sind bodenständig pragmatisch. Sie führten Eheleben mit Verhandlungsmoral, sie stritten und versöhnten sich wieder. Sie verkörpern eine gewisse Herbheit, ohne dass es sauer aufstößt. Sie beruhigen in ängstlichen Zeiten und verstören in Stimmungen, wo es wirklich besser ist, mal die eigene Sphäre zu verlassen.

Ihr Abschiedskonzert haben sie noch vor sich, aber für dieses Projekt sind sie nicht einmal für eine Milliarde Euro zu locken – man hat es probiert, aber es klappte nicht. Frida würde gerne, sie wollte immer gern auf der Bühne stehen. Benny und Björn, Businessmen und mit Geld ohnehin nicht mehr zu locken, täten es auch – aber sie wissen, dass sie, so lange gemeinsam aus der Übung, unplugged schrecklich klängen. Und da wäre noch Agnetha, die mittlerweile an eine etwas verbitterte Gymnastiklehrerin aus der Provinz gemahnt. Leider will sie sich und lieber ihre depressiven Melancholien allein behüten. Schweden wird sie nächstes Jahr feiern. 30 Jahre ist es her, dass sie den Grand Prix Eurovision in Brighton gewannen. „Waterloo“ ist ihr fast schwächstes Lied. Macht nix. Es war eine Verbeugung vor den Jurys damals, weil die sonst, hätten sie „Hasta manana“ gesungen, nicht aus dem Schlaf gerissen worden wären. Was sind wir gerne mit ihnen wach geworden!

Nachzulesen ist die Geschichte von Abba in Magnus Palms „Licht und Schatten. Abba – die wahre Geschichte“. Bosworth Edition, 2003, 640 Seiten, 34,95 €