Ein Bombenkrater für die Balearen

In Beton geronnene Symbolik: Auf Mallorca hat der US-Stararchitekt Daniel Libeskind sein neuestes Gebäude fertig gestellt. Es ist erst sein vierter Entwurf, der auch verwirklicht wurde, und schon stellt sich die Frage: Selbstplagiat oder Meisterwerk?

von MICHAEL MAREK

Nichts scheint an seinen expressiven Bauten gewöhnlich: zickzackförmige Grundrisse mit labyrinthischen Räumen, schiefen Ebenen und spitzwinklig zulaufenden Wänden, die beim Betrachter ein beklemmendes Gefühl der Enge und Orientierungslosigkeit hinterlassen. Gekippte Böden, auf denen man das Gefühl hat, umzustürzen, und schräge Decken mit unzähligen kleinen Lichtschlitzen.

Daniel Libeskind gilt als eine der schillerndsten Persönlichkeiten der internationalen Architektenszene. Nicht zuletzt auch deshalb, weil der US-Amerikaner den Auftrag für den größten und wohl spektakulärsten Wolkenkratzer unserer Gegenwart erhalten hat: für den Neubau des World Trade Centers am Ground Zero in Manhattan, New York.

Dabei konnte Libeskind nach Osnabrück, Berlin und Manchester vorletztes Wochenende gerade erst sein viertes Gebäude fertig stellen lassen – ein Atelier- und Galeriehaus, das zugleich ein Gegenmodell zu den pompösen Atelierpalästen eines Makart, Stuck oder den geometrisch funktionalen Meisterhäusern eines Walter Gropius ist. Nicht in Tokio, Paris oder Sydney, sondern auf Mallorca in Port d’Antratx, dem beschaulich-mondänen kleinen Fischerdorf im äußersten Südwesten der Baleareninsel, das als Treffpunkt der Schickimickis und Reichen gilt, findet sich der private Neubau. Auf dem ehemaligen Tennisplatz der Künstlerin Barbara Weil steht Libeskinds wuchtiger, expressiver Entwurf.

Wie in all seinen bisherigen Entwürfen zuvor zeigt sich auch hier Libeskinds Begeisterung für die Beton gewordene Symbolik. Seine architektonische Urzelle und das eigentliche Meisterwerk ist das 1998 fertiggestellte Felix-Nussbaum-Haus in Osnabrück. Nicht nur deshalb, weil es Libeskinds erster realisierter Entwurf war, sondern weil Form und Inhalt hier eine schlüssige Symbiose eingehen zwischen Architektur und der tragischen Biografie des Malers Felix Nussbaum, der während der NS-Herrschaft ermordet wurde. Alle anderen Gebäude erscheinen dagegen wie Selbstplagiate – das Zitieren der immer gleichen architektonischen Hülle mit austauschbaren Symbolgehalten.

Wie beim Jüdischen Museum in Berlin oder dem Imperial War Museum North in Manchester haben sich Libeskind und seine Mitarbeiter in Port d’Antratx für einen symbolischen, skulpturalen Gebäudekörper entschieden: Der zweigeschossige zylindrisch gestaltete Bau erinnert an einen Plattenspeicher und dokumentiert Libeskinds geradezu obsessiven Hang zur Dramatik.

Das Studio Weil wirkt wie eine gekrümmte Schildmauer, in die ein riesiges Loch gebrochen wurde, einem Einschussloch gleich – wie eine Wunde, ein auf den Kopf gestellter Krater mit ausgefransten Rändern, der durch eine außen gelegene Treppe vom anderen Gebäudeteil getrennt ist.

Eine „Open Gallery“ sei das, so Libeskind, vielleicht als Anspielung auf die Zerbrechlichkeit unserer Welt? Darin hängen Weils zwei bis drei Meter große Skulpturen, eine Art öffentliches Schaufenster und Werbefläche zugleich. „Mnemonic Cartwheels“, nennt der Architekt seine Version eines zeitgemäßen Künstlerateliers und zitiert dabei den 1233 in Palma de Mallorca geborenen Philosophen Ramon Llull, der ein System konzentrischer Kreise zur Erklärung der Welt verwendet hatte.

Im Innern des Gebäudes hat man das Gefühl, Fremder und Entdecker zugleich zu sein. Der Grundriss ist alles andere als quadratisch, praktisch, modern. Stets kann man sich im Studio verirren. Es gibt keinen Zentralpunkt, keinen zentralen Raum, um dem sich alles gruppiert. Stattdessen überall Verwinkelungen, Schrägen und Lichtschlitze, hinter jeder Wand lauert eine neue Perspektive. Nichts an diesem Ort scheint festgefügt.

Hier wird die 70-jährige US-Amerikanerin Barbara Weil mit ihren zerbrechlich anmutenden Gemälden und Plastiken einziehen – ein Ort, an dem privates und öffentliches Leben auf 300 Quadratmetern aufeinander treffen, sich ästhetische Produktion und Vertrieb miteinander verschränken sollen. Eine 750.000 Euro teure Werkstatt (Libeskinds Honorar nicht mitgerechnet) und ein Ausstellungsraum zugleich, an denen über drei Jahre gearbeitet wurde.

Ob die Künstlerin mit ihren Werken dem Eigenleben des Hauses mit all seinen Schrägen, Dunkelstellen und Lichtschlitzen wird trotzen können, das muss sich erst noch zeigen. Bereits in Berlin und in Manchester erwiesen sich die karge Schönheit und die nichtfunktionale Ausdruckskraft der Räumlichkeiten als Problem. Libeskinds Gebäude sind selbst „Ausstellung“ und wollen besichtigt werden. Dass seine Bauten nur als eigenständige Gebäude wirken und damit der eher lästigen Funktion des Ausstellens enthoben sind, diesen Vorwurf der Zweckfeindlichkeit hat Libeskind immer wieder von sich gewiesen und bestritten, dass seine „Architektur weniger nützlich ist als einige dieser geistlosen Schachteln, die am Potsdamer Platz stehen“.