beim zeus
: Rummelplatz mit dunklen Ecken

FRANK KETTERER über die schönen und die bösen Momente von Athen sowie die Suche nach dem olympischen Geist

Nun, da das große Feuer bald erlöschen wird, ist es wohl an der Zeit, das zu tun, wofür zwei Wochen lang keine Muße war. Man hat ja viel erlebt hier, bei Olympia, all die kleinen und großen Dinge, so richtig verarbeiten konnte man sie freilich noch nicht. Wie auch, wo man doch ständig auf der Hatz war von Termin zu Termin, von Sportart zu Sportart? Und doch hat man am Ende nur einen kleinen Teil mitbekommen von dem, was wirklich passiert ist. Wie sollte das auch anders sein, bei so einem gigantischen Spektakel, bei dem am Ende 903 Medaillen an den Mann respektive die Frau gebracht sein werden. Im Prinzip ist Olympia nichts anderes als ein großer, bunter, lauter Rummelplatz, aber eben der größte, den es gibt auf der Welt. Und noch mal im Prinzip ist dieser Rummelplatz nichts anderes als unendlich viele Weltmeisterschaften gleichzeitig an einem Ort. Dazu muss man sagen, dass Weltmeisterschaften etwas Tolles sind, meistens jedenfalls. Weil die Besten der Länder dieser Erde sich treffen, um ihre Allerbesten zu ermitteln. Das ist Abenteuer, ein großes Theater mit großen Geschichten von Verlierern und Gewinnern. Und natürlich war das auch hier in Athen so.

Und dennoch hat man sich sein erstes Olympia anders vorgestellt, einfach noch größer, aber eben nicht im Sinne von Gigantismus, davon gab es wirklich genug. Sondern im Sinne des – man muss es so kurz vor dem Ende wohl tatsächlich hinschreiben – im Sinne des olympischen Geistes. Nun weiß natürlich kein Mensch, was oder wer das ist, dieser olympische Geist, weil er halt, wie alle Geister, real eher nicht existiert. Aber man war sich vor den Spielen sicher, dass man ihn hier treffen würde – und dann würde man sofort spüren: Ah, da ist er, der olympische Geist. Und jetzt, da die Spiele sich gen Ende neigen, hat man so lange nach ihm gesucht und ihn doch nicht gefunden. Mag sein, dass er bei der wunderbaren Eröffnungsfeier vor zwei Wochen kurz, ganz kurz nur, hereingelugt hat, aber dann ist er doch gleich wieder verschwunden, und aus den Spielen wurde nichts als: tja, viele Weltmeisterschaften nebeneinander und gleichzeitig – ein großer, bunter Rummelplatz.

Erinnerungen werden trotzdem bleiben. Beispielsweise daran, dass alle Stadien fertig waren und sehr schön und sehr modern. Man wird sich an die Angst der Welt erinnern und dass am Ende doch nichts passiert ist, nicht das kleinste Bömbchen. Und man wird sich an den Sport erinnern: An Franziska van Almsick, die hierher gekommen war, um Gold zu gewinnen und ihr Leben als Schwimmerin abzurunden – und dann doch mit dem ganzen Druck nicht fertig wurde und am Ende wieder abreisen musste als Fünfte und somit als: Unvollendete. Man wird sich an die deutschen Wasserballer erinnern und an Hagen Stamm, ihren Trainer, wie er nach dem überraschenden Auftaktsieg gegen Griechenland gesagt hat: Schreib jetzt bloß nicht, dass wir schon wieder Weltspitze sind. Und wie er die Wasserballer dann unter die ersten Sechs geführt hat bei Olympia, also mitten hinein in die Weltspitze. An die Handballer wird man zurückdenken, an ihren heldenhaften Kampf im Viertelfinale gegen Spanien und wie Christian Schwarzer, der Mann vom Kreis, nach diesem heldenhaften Kampf ausgestreckt in der Mitte des Feldes lag, weil er einfach nicht mehr anders konnte. Auch Judith Arndt wird man in Erinnerung behalten, die Radsportlerin, die den Funktionären ihres Verbandes den ausgestreckten Mittelfinger zeigte, als sie über die Ziellinie zu Silber fuhr. Oder die Military-Reiter, die Gold schon um den Hals baumeln hatten – und dessen doch wieder beraubt wurden. Und die Fahrt von Andreas Dittmer wird einem natürlich in Erinnerung bleiben, vor allem aber, wie tapfer er Silber ertrug, obwohl er doch nur eines wollte: Gold; sein drittes bei Olympia wäre es gewesen.

Von Athen bleiben werden allerdings auch große, dunkle Wolken, die man in dieser Größe nicht erwartet hatte und die einem fast den Glauben an das Gute im Sport geraubt hätten. Kostas Kenteris zum Beispiel, der als griechischer Held auftreten wollte – und dann flüchtete, weil er Angst hatte, als das entlarvt zu werden, was er seit vielen Jahren ist: einer der größten Betrüger in der Welt des Sports. Man wird nicht vergessen, wie man morgens aufstand und sich als Erstes die Frage stellte: Wer wird wohl heute seine Medaille wieder verlieren, weil er betrogen hat? Am Anfang hat man das alles ja noch einigermaßen amüsant gefunden: Die ganzen Räuberpistolen von inszenierten Motorradunfällen, Krankenhausaufenthalten und fremdem Urin. Am Ende hat man sie nur noch gehasst, diese elendigen Betrüger. Und wer weiß, vielleicht sind sie am Ende auch schuld daran, dass einem der olympische Geist nicht begegnet ist, obwohl man sich doch so auf ihn gefreut hat.