Konstrukt ist in Gefahr

Zweite Liga: Unions-Niederlage gegen Lübeck verschärft die sportliche Krise. Stadionneubau rückt in weite Ferne

Es ist noch nicht allzu lange har, da sorgte beinahe alles, was Heiner Bertram, der Präsident des 1. FC Union unternahm, für Unmut bei den Fans. Er wollte seinen Club neu positionieren in der Stadt. Der Ost-Kult-Club sollte auch im Westen ankommen, das marode Stadion in Köpenick ersetzt werden durch eine Spielstätte mitten in Berlin. Die Fans gingen auf die Barrikaden. Auch die Entlassung von Georgi Wassilev, dem Trainer, der die Berliner in die 2. Bundesliga geführt hatte, kam nicht gut an.

Mittlerweile hat sich das Verhältnis von Bertram zum Union-Anhang merklich verbessert. Ein neues Stadion soll auf dem Gelände des Fußballtempels an der Wuhlheide errichtet werden. In einer Fankommission durften die organisierten Anhänger ihre Wünsche für das neue Stadion äußern. Auch „Opi“ Opitz vom V.I.R.U.S., einer der aktivsten Fangruppierungen, sitzt in dieser Kommission. Schon seit einiger Zeit hängen die Fans selbst gestaltete Plakate in Geschäften und Kneipen auf und nehmen dem Verein damit klassische Marketingaufgaben ab. Der Club, so Opitz, danke dies, indem er in der Stadionfrage auf die Anhänger zugehe. Sogar in der Trainerfrage verfügen die rot-weißen Supporter über ein gewisses Mitspracherecht. Zwar sagte Bertram nach der 1:2-Heimniderlage gegen den VfB Lübeck: „Die Fans treffen keine Personalentscheidung“, fügte aber hinzu, dass man als „Dienstleister“ die Interessen der Fans durchaus ernst nehmen müsse.

Der derzeitige Trainer Mirko Votava war nie sonderlich beliebt bei vielen Anhängern. Dennoch waren bislang noch keine kollektiven Unmutsäußerungen gegen den Coach im Stadion zu vernehmen. Dies änderte sich am Freitagabend, als elf völlig überforderte Berliner beinahe hilflos zusahen, wie der bislang ebenfalls nicht sonderlich erfolgreiche VfB Lübeck einen Angriff nach dem anderen vortrug. „Wir haben die Schnauze voll!“, war von der Haupttribüne war zu hören. Auf den Stehrängen kam es zu regelrechten Tumulten.

An der „Tankstelle“, einem Stehausschank, an dem viele Fans auf dem Weg vom Stadion zur S-Bahn noch ein Frustbier hinunterschütteten, wurde nach dem Spiel heftig debattiert, ob es denn erlaubt sei, als treuer Fan den Trainer anzugreifen. „Seit 25 Jahren gehe ich zu Union“, meinte ein nicht nur von der Niederlage sichtlich erschütterter Fan, „aber dass sich die Fans gegenseitig attackieren, habe ich noch nie erlebt.“ Votava äußerte nach dem Spiel Verständnis für die Reaktionen der Fans, die ihn – während er mit dem Fernsehsender Premiere sprach – heftig angingen. Es scheint gerade vieles in die Brüche zu gehen bei Union.

Dabei waren die Köpenicker so gut gelaunt in die Saison gestartet. Vor dem Anpfiff zur ersten Partie hatte Präsident Bertram die Entwürfe einer komplett überdachte Arena für 30.000 Zuschauer vorgestellt. Das Land Berlin, so der Plan, solle dem Verein das Gelände an der Wuhlheide für 1 Euro überlassen. Als Gegenleistung werde der Club mit Hilfe von Investoren und EU-Fördermitteln das neue Stadion errichten.

Unüblich sind derlei Abkommen nicht, doch es ist ein langer Weg durch die Bürokratie zu beschreiten, um überhaupt ein Grundstück unter Verkehrswert vom Land erwerben zu können. Und an dessen Ende muss das Abgeordnetenhaus zustimmen. Durch hohe Zuschauerzahlen und sportlich erfolgreiches Auftreten der Mannschaft werde der FC Union, so Bertram damals, es schon schaffen, die Stimmung in der Stadt so zu beeinflussen, dass die Politik gar nicht anders kann, als die Pläne zu unterstützen.

Jetzt steht Union nach dem 6. Spieltag mit 3 mageren Pünktchen am Tabellenende. Die knapp 8.000 Zuschauer, die an einem herrlichen Freitagabend das Spiel im Stadion sehen wollten, hatten ganz gut Platz auf den bröselnden Rängen. Heiner Bertram: „Das ganze Konstrukt Union ist in Gefahr.“ Einen Ausweg aus der Krise kennt auch der Präsident nicht.

In einer Sitzung mit Geschäftsführer Bernd Hoffmann und dem Trainer am Samstag wurde Votava noch eine Gnadenfrist gewährt. Er wird auch am kommenden Spieltag auf der Bank sitzen. Ausgerechnet gegen den bislang furios auftretenden Aufsteiger aus Unterhaching soll die Wende eingeleitet werden. Sollte es wieder nichts werden, können die Fans ihren Frust an der derzeit größten „Tankstelle“ der Welt hinunterspülen: In München läuft das Oktoberfest.

ANDREAS RÜTTENAUER