DIE AUFHEBUNG DER IMMUNITÄT PINOCHETS IST GUT FÜR CHILE
: Ende der Omnipotenz

Chiles Oberster Gerichtshof hat die Immunität des ehemaligen Diktators Augusto Pinochet aufgehoben. Damit haben die Richter die Entscheidung eines Berufungsgerichts von Ende Mai bestätigt und ihren eigenen Spruch aus dem Jahr 2002 revidiert. Eine neue Etappe im ewigen Hin und Her um den Exdiktator oder endlich doch noch ein Durchbruch der Gerechtigkeit?

Sicher ist: Pinochets Anwälte werden jetzt alles versuchen, um in den anstehenden neuen medizinischen Untersuchungen die Prozessunfähigkeit des Alten nachzuweisen, um ihn doch noch vor einem Verfahren zu bewahren. Angesichts des frechen öffentlichen Auftretens Pinochets in einem Fernsehinterview und bei der Aussage vor einem anderen Richter wegen seiner geheimen Bankkonten erscheint es unwahrscheinlich, dass der Exdiktator damit noch einmal durchkommt.

Dennoch: Die Verantwortung Pinochets für die Entführung, Folter und Ermordung von Oppositionellen im Rahmen der „Operation Condor“ kann zwar politisch niemand bestreiten – sie aber gerichtsnotorisch hieb- und stichfest nachzuweisen braucht Zeit. Zur umfangreichen Beweisaufnahme kommen Verfahrensanträge, Verzögerungen, etwa wegen Krankheiten. Man darf getrost anzweifeln, dass der Prozess gegen den 88-Jährigen noch einen Abschluss findet, wenn er denn überhaupt beginnt. Die von ihm selbst dekretierte Straffreiheit hat Pinochet so alt werden lassen, dass er wohl kein Gefängnis mehr von innen sehen wird.

Trotzdem ist das Signal, dass die Entscheidung des Obersten Gerichts aussendet, von großer Bedeutung: Endlich ist der Weg frei für ein Chile, in dem niemand außerhalb des Gesetzes steht. Pinochets Tochter beklagt das Urteil und fordert, man möge ihrem Vater verzeihen. Das klingt schon anders als jene Selbstzufriedenheit, Geschichtsklitterung und uneingeschränkte Arroganz gegenüber den Opfern, die bis zu Pinochets Verhaftung in London im Oktober 1998 seinen öffentlichen Umgang mit der Vergangenheit prägten. Aber erst jetzt, da der Exdiktator ein durch kein Sonderrecht geschützter mutmaßlicher Verbrecher ist, hätten die Angehörigen der Opfer überhaupt die Möglichkeit zur Vergebung. Erst jetzt könnte Chile mit der Vergangenheit der blutigen Diktatur abschließen.

Der Oberste Gerichtshof hat Chile einen großen Dienst erwiesen. Die Gerichte müssen jetzt alles tun, um das Verfahren voranzubringen – und sie müssen zeigen, dass sie sich nicht mehr an der Nase herumführen lassen. Wenn die Verurteilung Pinochets dann wegen seines Gesundheitszustands doch nicht gelingt, ist das nicht zu schlimm. Sein Bild jedenfalls ist zerstört, seine Omnipotenz dahin. Es wurde Zeit. BERND PICKERT