stimme der korrektur
: Trennungen

Sozialarbeiterinnen leiden irgendwann an einem berufsspezifischen Syndrom: Sie nehmen ihre Fälle nach der Arbeit mit, manchmal in eine Albtraumnacht. Mit Recht wurde dem beklemmenden Nachtmahr durch die Rechtschreibreform das b zurückgegeben, das den Alb wieder dem indoeuropäischen „albh“, weiß, und den germanischen „Alben“ und „Elben“ genähert hat.

 Wie auch immer, ich leide seit einer Weile am Korrektorinnensyndrom. Selbst nach siebenstündigem Fließbandlesen stößt sich mein Blick beim Verlassen des Arbeitshauses gleich an falsch geschriebenen Wörtern auf Lastwagen: GROßE – das Eszett in der Versalschreibung nicht in zwei S aufgelöst. Es entstand als Ligatur, als typografische Zusammenziehung des kleinen langen s der Frakturschrift mit dem Schluss-s.

 Reicht es zu mehr, zum Beispiel zum Lesen einer Tageszeitung, dann wird nicht selten der Inhalt durch die Form gesprengt. So verwirrten mich neulich im Handelsblatt die „Ex-Neubauten“. Nicht nur, weil hier unnötigerweise ein Divis, ein Teilungszeichen, die Neubauten vom Ex trennte. Die Exgeliebte, der Exsenator, sie existieren noch als Ehemalige, Frühere, Einstige. Die Ex-Neubauten jedoch waren keine Altbauten, sondern auf Korsika zu einem Haufen Schutt gesprengte, eingestürzte Neubauten. Ein Zeichen an die französische Zentral- und Kapitalmacht, dass viele Korsen ihre Insel lieber selbst regieren und die Tourismusindustrie selbst kontrollieren möchten. Das ist in gewisser Weise natürlich auch ein Trennungszeichen.

 Fälschlich und fahrlässig werden oft getrennt: Deutsche von „Nicht-Deutschen“ oder Christen von „Nicht-Christen“ wie Muslimen. In solchen Fällen ändert die orthografisch korrekte Beseitigung des Divises nichts an den Prioritäten von Schills und ihren Steigerungen in der politischen Hierarchie des institutionalisierten Rassismus, den Schilys. Wir, im meistens unterbesetzten Korrektorat der taz, tun es dennoch, unbeugsam.

 Inhaltlich richtig ist dagegen, „Antis“ von „Pros“, Antirassisten von Rassisten, Antiimperialisten von Imperialisten, Gewerkschafter von Antigewerkschaftern – auch „Traditionalisten“ und „Modernisierer“ – zu lösen. In letzterem Fall war während des Arbeitskampfes der Ostmetaller eine erstaunliche politische Ligatur zu beobachten: Die „Modernisierer“-Experten verliebten sich in Betriebsräte. Aber nur die der Westkonzerne, weil diese dem Streik gnadenlos in den Rücken fielen. Die Zeit reichte nicht, um noch den Aufkleber „Ein Herz für Konzernbetriebsräte“ zu drucken, kostenlos und portofrei im Hundert beim Handelsblatt – und anderen Zeitungen – anzufordern.

 Von den angeblich Kundigen, Erfahrenen, Bewährten wäre es dringend nötig sich zu scheiden. Das Mindeste jedoch, was sie verdienten, wäre ein Divis. Machen wir sie zu dem, was sie sind: Ex-Perten des Trennenden.

ROSEMARIE NÜNNING