Wohnen unterm Schornstein macht krank

Studie im Ruhrgebiet weist erstmals wissenschaftlich nach, dass Anwohner von Industrieanlagen höher mit Schadstoffen belastet sind als der Durchschnitt. Blei, Cadmium, Benzol und PAKs bei Kindern und Müttern gefunden. BIs fühlen sich bestätigt

VON BERNHARD PÖTTER

Umweltschützer und Gesundheitsexperten haben es immer schon gewusst. Aber jetzt können sie es zum ersten Mal konkret beweisen: Je näher Menschen an einer Industrieanlage wohnen, die Schadstoffe ausstößt, desto stärker sind die Anwohner mit diesen Stoffen belastet. Das ist das Ergebnis einer Studie der Abteilung Umweltmedizin an der Ruhr-Universität Bochum, die im Auftrag des nordrhein-westfälischen Umweltministeriums erstellt wurde. Gestern stellte NRW-Umweltministerin Bärbel Höhn in Düsseldorf die Untersuchung vor.

An drei Standorten, den so genannten Hotspots in Duisburg-Süd, Duisburg-Nord und Dortmund-Hörde, wurden Kinder und ihre Mütter bei den Einschulungsuntersuchungen zusätzlich auf typische Krankheitsbilder und Schadstoffbelastungen hin getestet. Resultat: Je näher sie an den Industrieanlagen wohnten, desto mehr giftige Stoffe wurden in erhöhter Konzentration im Körper nachgewiesen und umso häufiger traten Allergien und Atemwegserkrankungen auf.

Die betreffenden Anlagen sind eine typische Mischung aus den Zeiten von Kohleförderung und Stahlindustrie: Eine mittlerweile geschlossene Kokerei in Duisburg-Bruckhausen hatte hohe Emissionen von Benzol und polyzyklischen Aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAKs) zu verantworten. Im Urin der getesteten Anwohner fanden die Forscher eine erhöhte Konzentration dieser Schadstoffe. Im Duisburger Süden, wo es Metall verarbeitende Betriebe gibt, stellte man erhöhte Werte von Blei und Cadmium fest. Und im Umfeld des ehemaligen Stahlwerks Phoenix-Ost in Dortmund-Hörde traten gehäuft durch Staub verursachte Beschwerden der Atemwege und Allergien auf. Die Belastungen, die in den Hotspots gefunden wurden, sind auch nicht die normalen Werte: Bei einer Vergleichsgruppe von Kindern und Müttern im ländlichen Borken registrierte man deutliche niedrige Werte.

„Ein Zusammenhang zwischen dem Wohnort und der Belastung mit Schadstoffen wurde schon lange vermutet“, sagte Höhn gestern bei der Vorstellung der Untersuchung. „Mit dieser Studie kann er aber zum ersten Mal wissenschaftlich nachgewiesen werden.“ Die Ergebnisse lassen ihrer Meinung nach „Rückschlüsse auf andere industrielle Hotspots in Nordrhein-Westfalen zu“. Auch wenn die Produktionsbedingungen überall verschieden seien, gehe sie davon aus, „dass wir bei ähnlichen Untersuchungen an Anlagen wie in Duisburg oder Dortmund immer zu demselben Ergebnis kommen.“ Erneut zeige sich, dass „Umweltschutz vorbeugender Gesundheitsschutz ist“.

Auch die Bürgerinitiativen, die teilweise seit vielen Jahren gegen die gesundheitliche Belastung in den Hotspots kämpfen, fühlten sich gestern bestätigt. „Wir sind die besten Messinstrumente“, hieß es von einem Sprecher der Initiativen. Die Anwohner sähen die Rauchschwaden, hörten die Explosionen und seien damit „24-Stunden-Indikatoren“ für die Umweltbelastung der Industriebetriebe.

Das NRW-Umweltministerium wies darauf hin, dass es in Duisburg seit 1997 einen Sonder-Luftreinhalteplan gebe. Dieser habe die Belastung mit dem Supergift Dioxin um 95 Prozent gesenkt. Im Duisburger Norden unternehme ThyssenKrupp Stahl große Anstrengungen zur Schadstoffreduktion. „Produktionsstätten haben langfristig nur dann eine Chance, wenn sie die Bevölkerung nicht übermäßig belasten“, sagte Höhn.

Am Test beteiligten Müttern und Kindern bietet das Umweltministerium individuelle Beratung über ihre Gesundheitsbelastungen und andere Risiken wie Passivrauchen an.

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