Der leise Sekretär hat die Lösung

Die Politik bildet gerade erst Kommissionen zur Verfassungsreform. Der ehemalige Bundesratsdirektor Oschatz hat seine Reform schon ausformuliert

Er plädiert für sauber getrennte Kompetenzen. Und: Jeder soll finanziellen Spielraum haben

von CHRISTIAN FÜLLER

Der Mann kommt gerade in Schwung. Im föderalen Staat herrsche ein „Verhau von Interessen“. Das „ewige Kungelgeschäft“ zwischen den Ländern wie mit dem Bund moniert er. Schluss damit. Der Änderungsdruck im Lande sei enorm. Da helfe nur Zurückgewinnen von Souveränität, von Staatscharakter.

Der Staat in der Krise. Die Gesellschaft voller wirrer unbefriedigter Ansprüche. Ein bisschen Untergang des Abendlandes dräut im Hintergrund, wenn Georg-Berndt Oschatz spricht. Nur ist er weder U-Bahn-Prediger noch Stammtischbruder. Ein bedächtiger Mensch hat sich im Café niedergelassen. Eine leise Person mit sonorer Stimme, wahrscheinlich ein prima Vorleser.

Fast niemand kennt Georg-Berndt Oschatz, 66 Jahre alt, Direktor a. D. des Bundesrats. Die Anonymität stört ihn nicht. Er weiß: Er gehört zu den wichtigen Konservativen im Lande. Er war schon einmal De-facto-Geschäftsführer einer Kommission zur Verfassungsreform. Das „Berliner Programm zu Reform des Föderalismus“, das er nun federführend verfasste, ist die Grundlage der CDU für die bevorstehenden Gespräche über die Blockade zwischen Bundesrat und Bundestag.

Oschatz nennt sich „von der Gemütslage her konservativ“. Dabei ist er eher ein gelernter Konservativer. Sein Vater war Liberaler, Unternehmer in der frühen DDR, 300 Beschäftigte, ehe die ganze Familie 1952 floh. Georg-Berndt, 1937 geboren, ältester von vier Söhnen, stößt sich schon in der Schule an der sozialistischen Obrigkeit. „Du kannst schreiben, was du willst“, urteilt ein Lehrer über seine Aufsätze, „wir trauen dir eh nicht.“ Oschatz ist Kind der Bourgeoisie, noch dazu in der „Jungen Gemeinde“ aktiv, dem kirchlichen Nachwuchs.

Als er in der Grundschule das mit Abstand beste Zeugnis erhält, kriegt nicht er den Preis, eine Tüte voller Bonbons, sondern der Zweitbeste. Er lernt, dass es in der DDR eine rechtstaatliche Berechenbarkeit nicht gab. Weder im Alltag noch vor Gericht.

Oschatz sagt, dass ihn diese Erfahrung bis heute präge. Im Kampf der Interessen schaffe der Rechtsstaat den Frieden nur durch klare Verfahren – und die sieht er jetzt in Gefahr. Er plädiert daher in seiner CDU-Reformschrift für eine einschneidende Veränderung zugunsten der Länder. Warum so radikal? „In dem Augenblick, in dem ein Entweder-oder gefordert ist“, sagt er, „halte ich es für die Pflicht eines Konservativen, Entscheidungen zu fällen.“

Darin liegt das Moment der Dezision, das Carl Schmitt in den 20ern zum wichtigsten Werkzeug im Baukasten der Konservativen machte: die Entscheidung, die im Himmel sich zusammenbraut. Oschatz denkt ganz anders. Seine „Maßnahmen zur Wiederherstellung der politischen Gestaltungskraft“ sind rational begründet, und er selbst weiß, dass sie „nur Material“ sind für die Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat, die sich in den nächsten Tagen konstituieren wird.

Aber warum schreibt er dann einen Gesetzentwurf, der bis ins Detail einzelner Paragrafen durchformuliert ist? „Reden macht Spaß, lesen bildet – aber Schreiben macht genau“, sagt er. Anders als des Kanzlers Medienstars wie Bert Rürup oder Peter Hartz liebt er es nicht, sich „mit Thesen aufzuhalten“. Oschatz schreibt Verfassungsgeschichte lieber als treuer Sekretär im Hinterzimmer.

Es gab einen Moment, da stand Oschatz für alle sichtbar auf der politischen Bühne – auch wenn man ihn nur in Form eines amtlichen Vermerks sah, den der Bundesratspräsident Klaus Wowereit (SPD) nervös in seinen Fingern drehte. Das Zuwanderungsgesetz wird gerade im Bundesrat verabschiedet. Abzählen der Stimmen. Warten auf Schönbohm. Warten auf Stolpe. Warten auf Wowereits Entscheidung. Jeder wusste, worauf es ankommt. Keiner aber wusste, dass Oschatz dem Präsidenten genau jenes Abstimmungsprocedere notiert hatte, das die Mehrheit des Verfassungsgerichts später für das richtige hielt: Werden zwei Voten eines Landes im Bundesrat abgegeben, und sie widersprechen sich, dann ist die Stimme ungültig. Aus, vorbei, kein Gesetz.

Das Schauspiel im Bundesrat ist für den Pensionär nur das eindrücklichste Beispiel für die Krise der politischen Ordnung. „Es gibt ein gewachsenes System des Verhandlungsföderalismus“, erklärt er. Aber das sei an sein Ende gekommen in den Blockaden der Länderkammer und in den unzähligen Fachausschüssen, die sich überall bilden, aber unfähig sind, klar zu entscheiden. „Es ist ruinös, wenn das Gesamtsystem nicht mehr durchsetzungsfähig ist.“

In seiner CDU-Reformschrift plädiert er für eine starke Veränderung zugunstender Länder

Wie Oschatz denken viele. Der Bundesrat ist kein Gestaltungsgremium mehr. Er ist ein Verzögerungs- und Blockadeinstrument gegen die Initiativen des Bundes – aus parteipolitischen Gründen. Oschatz nennt Zahlen: 60 Prozent der Gesetze, die der Bund beschließen will, sind zustimmungspflichtig. Früher war es nur ein Bruchteil.

Für Oschatz, den Föderalisten, ist klar, wohin es gehen muss: zurück zu sauber getrennten Kompetenzen. Das heißt, erstens: Die Länder erhalten mehr Zuständigkeiten, die sie autonom regeln. „Sie bekommen ihr Hausgut, nämlich Schule und Hochschule, vollständig zurück – und dann können sie auch den Bund sich in seiner Substanz wieder entwickeln lassen, ohne ständig dagegen halten zu müssen.“ Und zweitens braucht es mehr finanziellen Spielraum für jede Seite. „Jede soll ihr Budget haben – und damit gut wirtschaften und sparsam haushalten.“

Der Föderalist ist in Wahrheit ein Etatist. Der Staat muss es richten. Oschatz will den Staat als entscheidungsfähigen Corpus. Das Herz der Tat muss dort liegen – und nicht im gesellschaftlichen Gewusel. Es braucht einen Raum der Souveränität. Und der liegt für Oschatz wie selbstverständlich in den Provinzen: „Es muss wieder deutlich werden, dass die Länder wirklich Staaten sind.“

Zu der Erkenntnis hat ihn seine politische Vita gebracht. Oschatz war bis 1987 Kultusminister in Niedersachsen – und litt unter dem dauernden Tändeln und Taktieren in der Kultusministerkonferenz und ihren Gremien. „Ich fühlte mich gefesselt.“ Oschatz sieht darin eine Gefahr für die Demokratie. Niemand verstehe mehr wirklich, wie ein Gesetz zustande komme, welche Interessen in geheimen Runden geltend gemacht würden. „Wenn die Verflechtung aber so kompliziert geworden ist, dann wird dem Bürger die Möglichkeit genommen, Verantwortung zuzurechnen.“