100 Stunden Arbeitseinsatz für Ohrfeige

Mannheimer Amtsgericht verurteilte Gymnasiallehrer wegen Körperverletzung zu vier Monaten Haft auf Bewährung. Der Angeklagte hatte Bundeskanzler Schröder während einer Parteiveranstaltung im Mai auf die Wange geschlagen

MANNHEIM taz ■ Das Mannheimer Amtsgericht verurteilte den arbeitslosen Lehrer Jens Ammoser, 52, gestern Nachmittag zu einer Haftstrafe von vier Monaten auf Bewährung und 100 Stunden Arbeitseinsatz. Er habe sich „der vorsätzlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung“ schuldig gemacht.

Ammoser hatte seinen Prozess seinerseits zum Angriff genutzt. Am 18. Mai hatte er Bundeskanzler Gerhard Schröder während einer SPD-Veranstaltung im Congress-Center Rosengarten laut Anklage „mit der rechten Hand auf die linke Wange“ geohrfeigt. Zur Verhandlung erschien er in einem weißen T-Shirt, vorn das Konterfei von Willy Brandt, hinten die eigene Kontonummer. Zum Prozessbeginn verteilte er aus einem Koffer Pressemappen mit Briefwechseln, Gedichten und Kanzlerwitzen.

Ammoser verteidigte sich selbst und stilisierte seine Tat als einen Akt des Widerstands gegen die menschenfeindliche Politik der Bundesregierung. Nicht er habe geschlagen, sondern „wir“. Mit ihm seien „viele Millionen Menschen“ gewesen, „Arbeitslose, Christen, Pazifisten, auch Sozialdemokraten“: „Wir haben reagiert!“ Außerdem habe nicht er Schröder, sondern dieser ihn beleidigt. Seine Handlung sei durch das Widerstandsrecht, Artikel 20, des Grundgesetzes gedeckt.

Ammoser schilderte seinen Lebensweg, „Es fing mit meiner Geburt an“, als eine fortwährende Erfolgsgeschichte, die ihm aber außer Aushilfsjobs nie zu einem Arbeitsplatz verholfen habe. Der Gymnasiallehrer verlas Belobigungen über mehrere erfolgreiche Umschulungen, zum Beispiel zum Computerfachmann. Das alles habe ihm nichts genutzt. Zuletzt habe ihm das Arbeitsamt ungerechtfertigt zeitweise die Arbeitslosenhilfe gesperrt. Das alles habe bei ihm „eine gewisse Politisierung“ bewirkt. Im vergangenen Jahr habe er begonnen, Briefe zu schreiben, den Kanzler zum Rücktritt aufgefordert und sich selbst für dessen Arbeitsplatz empfohlen.

Der einzige geladene Zeuge, ein Sicherheitsmann, sagte, es sei alles „sehr schnell“ gegangen. Über die Heftigkeit des Schlags aus der Menge heraus könne er nichts sagen, aber er habe das „Klatschen“ gehört“.

Ein im Gerichtssaal abgespieltes Video zeigt Ammoser bei der Nachstellung der Ohrfeige für ein Fernsehmagazin. In einem Interview sagte er: „Endlich habe ich einmal geschafft, was ich wollte.“ Und: „Für mich war das ein tolles Erlebnis … Ich habe den Kanzler erwischt!“ Staatsanwalt Hans Heiko Klein ließ die politische Motivation nicht gelten. Vielmehr sei es Ammoser bei der „besonders ehrverletzenden Körperverletzung“ lediglich um „Selbstdarstellung“ gegangen. Er habe die Tat geplant und „rücksichtslos, gefühllos und niederträchtig“ gehandelt.

Klein forderte sechs Monate Haft auf Bewährung und als Auflage 150 Stunden gemeinnützige Arbeit, vorzugsweise könne Ammoser „die Schwarzwaldwege sauber halten“. Richter Wolfgang Winkler verhängte 100 Stunden Arbeitseinsatz. In der Urteilsbegründung berücksichtigte er die Lebensgeschichte Ammosers. Sie habe den Angeklagten zum „Wirrkopf“ werden lassen.

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