Kapitaler Streit um neue Zinssteuer

Der Vorschlag, Kapitalerträge für die Bürgerversicherung höher zu besteuern, stößt auch innerhalb der Koalition auf Kritik. Grünen-Finanzexpertin Scheel sieht nur einen neuen Anreiz für Kapitalflucht und fordert ein rasches Ende der Debatte

AUS BERLIN ULRIKE WINKELMANN

Wie diskutiert man eine Steuererhöhung, ohne über eine Erhöhung der Steuern zu reden? Diesen merkwürdigen Versuch unternahm gestern die Bundesregierung, nachdem der Vorschlag einer SPD-Arbeitsgruppe durchgedrungen war, zur Finanzierung der Bürgerversicherung die Steuer auf Kapitalerträge anzuheben. „Wir erleben gerade keine Debatte über eine Steuererhöhung“, behauptete der Sprecher des Finanzministeriums.

Doch. Der Vorschlag zu einer Umfinanzierung des Gesundheitssystems, wie er heute und morgen in den Spitzengremien der SPD beraten wird, sieht genau dies vor. Um Geld aus Kapitaleinkünften für die Gesundheit abzuzweigen, könnte eine neue Steuer auf Zinsen und Dividenden erhoben werden. Dies, so haben Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) oder Außenminister Joschka Fischer (Grüne) signalisiert, sei eine einfachere Lösung als der ursprüngliche Plan, Kassenbeiträge von Kapitalerträgen abzuziehen.

Allerdings müssen die rund 1,7 Millionen Bürger mit hohen Kapitaleinkünften bis 2006 tatsächlich kaum eine höhere Steuer fürchten. Rot-Grün will mit dem Bürgerversicherungsplan zur Bundestagswahl antreten. Das vielgestaltige Konzept der Bürgerversicherung ist bis dahin nicht aus dem Stand und erst recht nicht gegen den unionsdominierten Bundesrat in Gesetze zu gießen. Eine Steuererhöhung für Aktien- und Kapitaleigner wäre allenfalls ein möglicher erster Schritt – irgendwann.

Heftige grüne Kritik an der Steuerlösung kam gestern von der Finanzpolitikerin Christine Scheel: „Ich halte das für äußerst problematisch.“ Es bestehe die Gefahr, dass bereits durch die Debatte über einen solchen Schritt die Kapitalflucht ins Ausland angeregt werde. Zudem werde der Erfolg der Steueramnestie-Regelung gefährdet, mit dem im Ausland angelegtes Schwarzgeld nach Deutschland zurückgeholt werden soll.

„Die Debatte über die Kapitalertragssteuer muss schnell beendet werden“, sagte Scheel. Sie plädierte für einen anderen ersten Schritt zur Bürgerversicherung: Deren Einführung bedeute zunächst, dass der Kreis der gesetzlich versicherten Personen ausgeweitet werden müsse.

Aus Kreisen der Arbeitsgruppe verlautete gestern, man sei von einem Volumen von 44 Milliarden Euro Kapitaleinkünften ausgegangen. Davon, so das Kalkül, sollten entweder via Kassenbeiträge (alter Vorschlag) oder über eine Kapitalertragssteuer (neuer Vorschlag) 5 bis 7 Milliarden Euro der Bürgerversicherung zufließen. Die Bürgerversicherer hoffen dabei, dass sich die Länder der Europäischen Union auf die derzeit diskutierte einheitliche Kapitalertragssteuer einigen können – sonst müsse es eben eine nationale Lösung geben.

Die neuen Vorschläge der Bürgerversicherer rief gestern auch die Vertreter des Alternativentwurfs zur Rettung des Gesundheitssystems auf den Plan. Bert Rürup, prominentester Vertreter der Kopfpauschale alias Bürgerprämie, sah „die Debatte neu eröffnet“. Denn die Vorschläge der Arbeitsgruppe zeigten, dass das Ziel, unterschiedliche Einkommensarten unterschiedlicher Menschen gleich zu behandeln, nicht zu erreichen sei.

Gert Wagner vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung erklärte der taz, wenn man schon ans Steuergeld wolle, „sollte man das nicht ins Gesundheitssystem leiten, sondern in den Sozialausgleich“. Nur eine Bürgerprämie „würde vermeiden, dass immer mehr Geld ins System gepumpt wird“.

Wagners Logik: Wenn der gesamte Ausgleich zwischen Arm und Reich, zwischen Single und Familie über Steuern besorgt wird, bezahlt der Versicherte mit der Pauschale nur noch die reinen Gesundheitskosten. Wenn die steigen, steigt auch die Pauschale – und zwar deutlicher als heute oder in einer Bürgervesicherung, wo der Sozialausgleich in den Kassenbeiträgen steckt und es nur einen geringen Unterschied macht, bei welcher Kasse man ist. Der Bürger würde demnach schneller als heute zur billigsten Kasse wechseln. So würde der Wettbewerbsdruck erhöht und der Kostenanstieg wiederum gedämpft.

Vielleicht entfachen die konkreten Vorschläge der Arbeitsgruppe unter Leitung der Parteilinken Andrea Nahles die Debatte über Bürgerversicherung oder Kopfpauschale tatsächlich auch im sozialdemokratischen Lager wieder neu. Doch hat die SPD-Spitze jetzt keine Wahl mehr. Die CDU hat die Kopfpauschale adoptiert, der SPD-Parteitag hat im November 2003 für die Bürgerversicherung gestimmt. Nicht den Gegenstand, nur noch das Tempo der Debatte kann die SPD-Spitze steuern.

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