„Schwarze Witwen“ unter Verdacht

Tschetschenische Selbstmordattentäterinnen sollen den Absturz zweier russischer Flugzeuge verursacht haben. Sprengstoffspuren an Wrack gefunden

AUS MOSKAU KLAUS-HELGE DONATH

Das tagelange Rätselraten um die Absturzursache der beiden russischen Verkehrsmaschinen, die am Dienstagabend gleichzeitig von den Radarschirmen verschwanden und 89 Menschen in den Tod rissen, scheint zu Ende. Mitarbeiter des russischen Geheimdienstes FSB räumten gestern ein, dass zumindest an einem Wrack Sprengstoffspuren entdeckt worden seien – am Wrack der TU-154, die bei Rostow abgestürzt war. Es handelt sich um den Sprengstoff Hexagen, eine Fortentwicklung von TNT, die auch vor fünf Jahren bei den Anschlägen auf Moskauer Wohnhäuser verwendet worden war. Diese Anschläge werden tschetschenischen Terrorgruppen zugeschrieben.

An den Trümmern der TU-134, die in der Nähe von Tula abgestürzt war, haben die Ermittler indessen noch keine Spuren entdeckt. Experten gehen aber davon aus, dass auch hier eine Bombe gezündet worden ist. Das ließe sich anhand der Verteilung der Trümmer am Boden ermitteln. Inzwischen wird auch nicht mehr geleugnet, dass beide Piloten ein SOS-Signal gesendet haben, ein Pilot betätigte sogar das Hijack-Signal.

Als Attentäterinnen werden zwei Tschetscheninnen verdächtigt, die jeweils in einem Flugzeug saßen. Als „Schwarze Witwen“ bezeichnete teschetschenische Frauen haben bereits mehrfach Sprengstoffanschläge begangen (siehe Text unten). Beide Frauen reisten allein. Aus den Reisedokumenten Amanta Nagajewas, die die Maschine nach Wolgograd nahm, ging hervor, dass sie ihren Wohnsitz in Grosny hatte. Sie sei unverheiratet und unauffällig gewesen. „Hinweise auf Kontakte zu islamischen Kämpfern, gibt es nicht“, verlautete aus dem Innenministerium Tschetscheniens. Man sei aber noch dabei, dies zu überprüfen. Auf Nagajewa aufmerksam wurden die Ermittler, weil sie die Einzige war, nach der sich unmittelbar nach der Tragöddie keine Angeöriigen erkundigten.

Ähnlich war es im Falle der Tschetschenin Dschebirchanowa, die im Flugzeug nach Sotschi saß. In ihrem Flugticket fehlen Name und Vatersname. Seltsamerweise hat die Fluggesellschaft „Sibir“ auch die Passdaten beim Kauf des Tickets nicht aufgenommen. Dschebirchanowa hatte einen Tag zuvor den Vormittagsflug nach Sotschi gebucht, am Abend dann aber im Flughafen Domodedowo auf den späteren Flug umgebucht. Dschebirchanowa saß im hinteren Teil des Flugzeugs in unmittelbarer Nähe der Toilette, wo die Bombe gezündet wurde.

Gleichzeitig übernahm jedoch eine islamistische Gruppe mit dem Namen „Brigaden Islambuli“ auf einer der extremistischen Websites die Verantwortung für den Anschlag. „Unsere heiligen Kämpfer haben den Absturz der russischen Flugzeuge organisiert“, heißt es in dem Bekennerschreiben. Angeblich hätten sich in jedem Flugzeug fünf „islamistische Kämpfer“ befunden (siehe Kasten).

Dafür gab es bislang aber keine Anhaltspunkte. Der russische Geheimdienst FSB äußerte sich zu dem Bekennerschreiben in der Öffentlichkeit mit keinem Wort. Unmittelbar nach dem Unglück hatten die Sicherheitsbehörden alles darangesetzt, die Möglichkeit eines Terroranschlags als sehr unwahrscheinlich erscheinen zu lassen. Am Wochenende finden in der vom Krieg zerrütteten Kaukasusrepublik Tschetschenien Präsidentschaftswahlen statt. Die Wahl ist nur noch ein formaler Akt, da der Kreml den Sieger vorher schon festgelegt hat. Ein Terroranschlag würde aber dennoch das Bild der „Normalisierung“ in Tschetschenien empfindlich stören.

Mit dem Bekennerschreiben ist allerdings nicht bewiesen, dass die Brigade den Anschlag tatsächlich verübt hat. Bislang beschränkten sich die Verbindungen zwischen tschetschenischen Rebellen und dem internationalen Terrorismus auf finanzielle Unterstützung aus fundamentalistischen Quellen, Training und logistische Hilfe einzelner Personen. Keine islamistische Organisation hatte bisher jemals Verantwortung für einen der zahlreichen Anschläge seit Beginn des zweiten Tschetschenienkrieges übernommen. Erpicht darauf, eine Verbindung zum internationalen Terrorismus herzustellen, war bislang vor allem der Kreml, der damit den blutigen Feldzug in Tschetschenien rechtfertigen wollte.

Nun könnte es in der Tat soweit sein. Das passt Moskau aber nicht mehr ins Konzept. Der Kreml erweckt dieser Tage den Eindruck, als liefe er Amok. Anders lässt sich die dilettantische Informationspolitik nicht erklären. Soll aus Wladimir Putin, dem Vorreiter im Kampf gegen den internationalen Terrorismus, über Nacht ein Beschwichtiger geworden sein? Dass sich seine Hausmacht, der Geheimdienst FSB, bei der Prävention einige grobe Fehler hat zuschulden kommen lassen, steht für den kleinen Teil der kritischen Öffentlichkeit in Russland außer Frage.