Schröders Welt

Der Chefaußenpolitiker der Nation ist auf der Suche nach der neuen Rolle Deutschlands in der internationalen Politik

Der Wert des Treffens Schröder–Bush liegt im Symbolischen: Sie reden wieder miteinander

aus Berlin JENS KÖNIG

Die Zeiten sind nicht mehr so hart, wie sie einmal waren. In den Kantinen des US-Repräsentantenhauses heißen Pommes frites bald wieder „French fries“. Aus Verärgerung über den französischen Widerstand gegen den Irakkrieg hatten die Republikaner durchgesetzt, dass Fritten im Repräsentantenhaus in „Freedom fries“ umbenannt wurden. Nun sei es Zeit, wieder „ein Klima der Höflichkeit und des Respekts“ einziehen zu lassen, meint die demokratische Abgeordnete Sheila Jackson Lee.

George W. Bush sieht das mit der Höflichkeit und dem Respekt so ähnlich. Der amerikanische Präsident empfängt jetzt den deutschen Bundeskanzler.

Nicht im Weißen Haus, sondern am Rande der UN-Generalversammlung in New York, dort also, wo Bush andere Staats- und Regierungschefs gewissermaßen am Fließband trifft. Aber der Wert des 30-minütigen Gesprächs am Mittwoch im Waldorf Astoria liegt auch nicht im kargen protokollarischen Zeremoniell, sondern im Symbolischen. Hier reden zwei Staatenlenker wieder miteinander, die zwar wohl keine Freunde mehr werden, die aber erkannt haben, dass es gut wäre, die 16-monatige Sprachlosigkeit im Interesse ihrer beiden Länder zu beenden. Der US-Präsident braucht aufgrund der Schwierigkeiten im Irak wieder eine arbeitsfähige Beziehung zu den europäischen Führungsmächten Deutschland und Frankreich. Der deutsche Kanzler will die Konfrontation mit den USA beenden, damit die „Mittelmacht Deutschland“ (Schröder) in der internationalen Politik endlich die Rolle spielen kann, die ihrem gewachsenen Gewicht entspricht.

Nun solle ja keiner annehmen, der Außenpolitiker Gerhard Schröder schätze an diesem Treffen mit Bush nicht auch die kleinen innenpolitischen Nebeneffekte. Zuallererst wird ihn die Journaille nicht mehr mit ihren lästigen Berichten von der Schröder-Bush-Front nerven können, wer wem wie lange die Hand geschüttelt hat. Außerdem werden die Fernsehbilder vom SPD-Kanzler auf der Weltbühne seine frustrierte Partei ein wenig vom Wahldebakel in Bayern ablenken. Und Schröder wird nicht zuletzt den Seitenhieb auf Joschka Fischer genießen können, dass nicht der Außenminister, sondern wieder mal der Kanzler selbst als Chefaußenpolitiker der Nation wahrgenommen wird.

Aber das sind Peanuts im Vergleich zu dem, was Schröder sich international vorgenommen hat. Er will die transatlantischen Beziehungen von den Mythen des Kalten Krieges befreien. Deutschland soll ein Verbündeter der USA bleiben, sich aber gleichzeitig als selbstbewusste Nation und als starker europäischer Verbündeter von den Amerikanern emanzipieren. Nicht gegen die Amerikaner, lautet Schröders Motto, sondern mit ihnen – aber anders als bisher. Gleichzeitig soll Deutschland international mehr Verantwortung übernehmen – politisch, wirtschaftlich, militärisch. Auch das dritte Element der Schröder’schen neuen Außenpolitik, die Stärkung der UNO als ein Modell neuer internationaler Kooperation, bei der Außenpolitik, Verteidigungspolitik und Entwicklungshilfe enger verzahnt werden, ist alles andere als eine prinzipielle Absage ans Militärische.

Schröder hat seine außenpolitischen Grundlinien bereits bei einer Rede vor der Friedrich-Ebert-Stiftung am 10. Mai vorgetragen. „Wir dürfen es nicht hinnehmen, dass der Krieg wieder als natürliche und gleichsam normale Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln begriffen wird“, sagte er dort und warnte vor einer neuen Gewalt, die sich nicht mehr politisch oder religiös begründet. „Wir dürfen uns nicht in einer Weltunordnung verlieren, in der Kriege gleichsam zum Geschäft werden.“

Der Kanzler stellt dagegen ein Verständnis von Sicherheit, die nicht nur von Militär und Polizei gewährleistet wird, spricht aber auch von einem „äußerstenfalls gebotenen Zwang zur Intervention“, um Menschen vor Gewalt zu schützen. Schröder ist davon überzeugt, diese neue Gewalt nur mit einer „neuen Stärke des Rechts“ bekämpfen zu können. Diese entstehe jedoch nur „aus der Verbindung von Legitimation und Entschlossenheit“. Für all das, findet der Kanzler, sei die UNO unverzichtbar. Wenn Schröder diese Gedanken am Mittwoch vor der UN-Vollversammlung vorträgt, werden sie sich dort freuen.

Dass seine Worte jetzt noch mehr Gewicht erhalten, weil er wieder mit George W. Bush spricht – das weiß der Kanzler. Er hat dafür schließlich einen Preis bezahlt. Der geringste ist noch der, dass er den Präsidenten, den er noch vor ein paar Monaten beschimpft hat („Cowboy“, „Abenteurer“), jetzt demonstrativ lobt: „Ich kenne George Bush als jemanden, der sehr rational Politik macht und der – unabhängig von der Differenz in der Irakfrage – stets weiß, was zu tun ist“, sagte Schröder vorige Woche dem Handelsblatt. Die Irakfrage hat der Kanzler bereits vor seinem Besuch entschärft. Die Ausweitung des Afghanistaneinsatzes ist auch schon beschlossene Sache.

Wie hoch allerdings der Preis sein wird, den Deutschland an seinen bislang wichtigsten europäischen Verbündeten, an Frankreich, zahlen muss, weiß der Kanzler selbst noch nicht. Und was aus den komplizierten deutsch-britischen Beziehungen wird, ist ebenfalls noch nicht klar. In seiner neuen Rolle bewegte sich Schröder beim Dreiergipfel Frankreich, Großbritannien, Deutschland am Sonnabend fürs Erste ganz bemerkenswert. Als Tony Blair von einer britischen Journalistin gefragt wurde, ob es ihm nicht peinlich sei, als Gesandter George W. Bushs nach Berlin gekommen zu sein, und Chirac sich darüber köstlich amüsierte, sprang der Kanzler für den britischen Premier in die Bresche: „Er ist als Tony Blair eingeladen worden, er ist als Tony Blair gekommen, und er wird als Tony Blair wieder gehen.“ Blair lachte: „Mein Sprecher hat die Frage korrekt beantwortet.“

Weniger Chirac, mehr Blair – sehr weit wird diese etwas dürre Erkenntnis den Bundeskanzler nicht tragen.