Linkes Fohlenspiel

Die Entlassung von Ewald Lienen traf nicht nur den Gefeuerten unerwartet. Hinter den Kulissen aber scheint sie gut vorbereitet gewesen zu sein

aus Gladbach BERND MÜLLENDER

Viele hatten geglaubt, Ewald Lienen und Borussia Mönchengladbach, das würde gut passen. Zurückgekehrter Sohn, Heimatgefühle, enge Bindung, ehemaliger Spieler mit großer Trainerzukunft etc. Mit Sportdirektor Christian Hochstätter, dem ehemaligen Kumpel auf dem Rasen, verstünde sich Lienen besonders gut, hieß es – und sagten die beiden auch ausdauernd selbst. Manche hatten sogar geweissagt, Lienen könne mit seinen Ideen vom hart erarbeiteten Angriffsfußball womöglich in die Fußstapfen von Hennes Weisweiler treten, dem Magier des Fohlenfußballs der 70er-Jahre. Lienen in Gladbach – eine langfristige Sache?

Alles Humbug. In der Bundesliga gilt heute nicht mehr, was gestern noch geschätzt und geschwätzt wurde. Am Sonntagnachmittag hat Borussia Mönchengladbach nach 203 Tagen und ganzen 17 Ligaspielen Ewald Lienen (49) rausgeworfen. Im Vorjahr der Retter mit einer ansehnlichen Siegesserie, jetzt vier Niederlagen in Folge und ein schlechter, aber nicht dramatischer Platz 16. Das 0:2 in Hannover am 6. Spieltag war auch schon zu viel. Die erste Entlassung der Saison.

Von der Plötzlichkeit war nicht nur Kapitän Arie van Lent „total überrascht“. Spieler aber sind vorbildliche Opportunisten: „Durch die Wechselei ist das Team völlig ohne Not in Unruhe versetzt worden“, sagt van Lent, der erst durch die Rotation in die Elf rückte, um einen Tag danach zu sagen: „Für Lienen tut es mir Leid. Für den Klub ist es wahrscheinlich besser.“

Fußball ist Lotto auf höchstem Niveau: Lienen hatte die Elf auf sechs Positionen verändert nach der letzten Niederlage. Gewinnt eine neu formierte Elf, hat der Trainer Mut gezeigt und entschlossen durchgegriffen mit glücklichem Händchen. Verliert sie, waren es „Hau-ruck-Aktionen“ (so jetzt dpa), die das Team nervlich blockierten. Gewinnt eine Elf mit identischer Aufstellung, hat der Trainer seinen Jungs eine Chance auf Wiedergutmachung gegeben. Verlieren sie wieder, war er stur, unbelehrbar, unflexibel. Lobt der Trainer die Seinen nach einer Niederlage, kann man es als pädagogische Raffinesse und Mutmachen auffassen – oder als Schönrederei. Wie bei Lienen jetzt.

Selbst für die gewohnten Ligalügen („Entlassung kein Thema“) ist die Regelung der Nachfolge besonders dreist. Schon Mittwoch hatte man hinter den Kulissen mit Exspieler Holger Fach (41) alles geklärt. Der war bis vor drei Wochen Borussias Amateurtrainer, wurde dann dem kränkelnden Drittligisten Rot-Weiss Essen überlassen mit der Klausel (Fach: „Eine Bedingung von Christian Hochstätter“), dass er für Borussias Trainerposten umgehend freizugeben sei. Lienen musste sich vorgeführt vorkommen (siehe Portrait S. 13). Wunderbar war die Begründung von Präsident Adalbert Jordan: „Mit Holger Fach haben wir einen logisch denkenden und handelnden Trainer gefunden.“ War Lienen das Gegenteil? Holger Fach weiß, wie Fußball geht, schlicht nämlich: „Ich bin keiner, der viel über Systeme spricht. Wichtig ist, dass man vorne trifft und hinten keinen kassiert.“ Gestern leitete er das erste Training, sein Sportdirektor Hochstätter wusste Ermutigendes über seinen neuen Fach-Mann mitzuteilen: „Ich kenne seine Auffassung von Fußball: Er lässt Fußball spielen.“

Letzte Worte des Gegangenen sind überliefert. Lienen: „Der Zeitpunkt ist unglaublich. Ich habe noch am Sonntagmorgen mit den Spielern sehr fruchtbare Gespräche geführt. Ich bin von diesem Verein maßlos enttäuscht.“ Medienpolitisch ist es eine Sensation, dass sich die Bild-Zeitung indirekt auf Lienens Seite schlug: „Trieb Gladbach ein linkes Spiel?“ Das Blatt will Lienen, am Sonntag um 16.08 Uhr, vor dem Klubhaus noch brüllen gehört haben: „Ich will hier nur noch weg!“

Seitdem ist Exlinksaußen Lienen abgetaucht; sein Handy, sonst sogar bei Spielbeobachtungen auf der Tribüne empfangsbereit, bleibt stumm. Holger Fach behauptet derweil, er sei an diesen „Verein emotional näher gebunden“ als an andere. Wir merken uns den Satz für seinen Nachruf.