Ständig verfeinern

Theorie und Technik: Alex Demirovic und Stuart Hall machen sich Gedanken über Wege des Nonkonformismus

Hall verlegt sich als streitlustiger Pensionär darauf, New Labour zu attackieren

Meistens finden sich ja gerade die interessantesten Dinge auf der Resterampe des jeweils letzten Hypes. So ist es denn auch keine Überraschung, dass der lesenswerteste Spex-Artikel der ca. letzten fünf Jahre etwas schamhaft auf deren Website verbannt wurde. Es ist ein XXL-Interview mit Alex Demirovic, dessen raderdoller Titel „Verdinglichte Arbeitsteilung läuft Amok“ alles übertrifft, was man in einem ähnlichen Zusammenhang selbst von Robert Kurz erwarten würde.

In dem Gespräch geht es (unter anderem) um die Aufstiegsmuster von linken Intellektuellen, welche zumeist dabei behilflich seien, politische Unzufriedenheit und soziales Begehren in „spannenden“ kulturindustriellen Produkten zu kanalisieren. Wie müsste man sich heute, so Demirovic, angesichts der ausdifferenzierten Milieus einen neuen Intellektuellentypus vorstellen, der darauf beharrt, entlang der unterschiedlichen Betroffenheitslagen, Wahrnehmungsmuster, Arbeitsformen und Machtzugänge einen übergeordneten oppositionellen Zusammenhang zu artikulieren? Der also seine Fürsprecherrolle nicht darauf beschränkt, gravitätisch hie und da Empörung zu äußern bzw. nur als Lobbyist in eigener Sache aufzutreten?

Wenn schon der kulturwissenschaftliche Lehrbetrieb für Demirovic kein geeignetes Rekrutierungsfeld darstellt (weil er vor kapitalismuskritischen Fragen ausweiche beziehungsweise an den Bedarf des Kulturmanagements angebunden sei), erstaunt es doch, dass er in seinen Ausführungen zum „organischen“ Intellektuellen gramscianischen Typs ausgerechnet Stuart Hall unerwähnt lässt. In der ersten umfassenden und keineswegs nur ehrerbietigen Monografie zum Werk des britischen Cultural-Studies-Doyens und weltweit wohl einflussreichsten Neo-Gramscianers, zeigt Chris Rojek auf, wie Stuart Halls vage Konzeption einer emanzipatorischen Politik erst mehrere Verfeinerungsstufen durchlaufen musste, bis sie bei Kulturschaffenden verschiedenster Couleur auf Resonanz stieß. Durch den allgemein grassierenden, selbstgenügsamen Nonkonformismus habe man allerdings darin versagt, die Veränderungen in der brennenden Issue-Zone „Arbeit und Soziales“ auf breiter Basis zu diskutieren.

Hall selbst hat diesen Repolitisierungsbedarf freilich längst erkannt und verlegt sich als streitlustiger Pensionär darauf, New Labour zu attackieren. So führe Tony Blair ein „hybrides Regime“, welches seine neoliberalen Zumutungen ähnlich wie Thatcher mit Gemeinschaftslyrik zu überpinseln versuche. Allerdings spricht Hall nun nicht mehr als akademische Stimme eines diffusen Patchworks, sondern fordert eine „integrierte Kritik“ über alle Milieugrenzen hinweg. Dies führt Chris Rojek zu der Frage, wie sich die einstigen differenztheoretischen Erkenntnisgewinne eigentlich mit dem Bedarf an neuen Regenbogen-Koalitionen vertrügen. Denn wie könne eine abstrakte Solidarität postuliert werden, ohne dabei die abweichende Alltagserfahrung der Individuen wieder aus dem analytischen Blickfeld zu verlieren?

Grund zur Sorge findet Rojek auch darin, dass Hall sich in der BBC-Sendung „Desert Island Discs“ als elitärer Geschmackshüter outete und das allseits beliebte TV-Quiz „Wer wird Millionär“ etwas angewidert als „Ur-Story der freien Marktwirtschaft“ abtat. Die von ihm gewünschten Musiktitel waren von Miles Davis, Bob Marley, Billie Holiday, Wynton Marsalis, Bach und Puccini. Und so wahnsinnig frische Ware – völlig d’accord, liebe Popkulturbeauftragten – ist das ja auch alles nicht mehr.

JAN ENGELMANN

Chris Rojek: „Stuart Hall“. Polity Press: Cambridge 2003, 230 Seiten, 14,99 Pfund