Glaube dich gesund

Das Krankenhaus-Museum des Klinikums Bremen-Ost zeigt seit gestern die Sonderausstellung „Doktor. Medizinmann. Rituale der Gesundheit“

„Eine universelle menschliche Schwäche, sich mit Magie abzusichern.“

Unwohlsein. Es zwickt hier, grummelt da, schwächelt dort. Was tun? In den bodenlosen Dunkelkammern der Weisheit findet jeder eine Therapie. Salbeitee muss literweise hinein in den vermaledeiten Körper. Und joggen muss er, täglich eine halbe Stunde. Johanniskraut gilt es einzunehmen gegen die miesepetrige Stimmungslage, Yohimbin für die ablenkende Manneskraft. Antibiotika: alle vier Stunden eine Tablette. Vielleicht auch Augenbäder mit ayurvedischen Ölen. Yoga, Akupunktur, Massage: auch gut. Nicht zu vergessen all die Tipps der Anthroposophen, Bachblütenanhänger, Edelsteinheiler, Pendeldiagnostiker, Lourdes-Pilger, Warzen-Besprecher, Handaufleger und Eigenurin-Gurus.

Unübersichtliche Vielfalt der Gesundheitsdebatte. Da redet jeder mit, das geht jeden an. Schließlich wollen alle gesund sein, weil sich das gut anfühlt, und weil man dann auch gut aussieht. Der Weg dahin hat viele Parallelpfade. Man muss sich nur ganz sicher sein, den richtigen zu beschreiten, dann klappt’s auch, Krankheiten zu verhindern oder zu beseitigen. Die menschliche Psyche ist halt mächtig. Hoffnung kann Schmerzen lindern, Verheißung heilen. Ich glaube, also werde, also bin ich fit.

Mitten hinein ins zeitgenössische Streitgespräch zwischen Wissenschaft, Ethnologie und Esoterik hat das Krankenhausmuseum des Klinikums Bremen-Ost die Sonderausstellung „Doktor. Medizinmann“ eröffnet – auf Anregung von Martin Heller, Bremens Kulturhauptstadt-Aktivist. Damit besitzt auch Bremens Osten ein Referenzprojekt für die Bewerbung.

Einerseits zu sehen sind Naturheilverfahren: die angeblich sanfte, ganzheitliche Ethno-Medizin, deren Methoden sich nicht aus nachvollziehbaren Experimenten ableiten, sondern nur in einer jeweils eigenen metaphysischen Vorstellungswelt erklären lassen. So sollen schon Krebs-, Aids- und Schniefnasen-Patienten, aber auch gebrochene Herzen geheilt worden sein.

Andererseits präsentiert wird die Schulmedizin, die dem mechanistischen Denken entspringt. Auch sie hat wahre Wunder vollbracht, nämlich maßgeblich dazu beigetragen, dass wir heute doppelt so lang leben wie vor 200 Jahren. Die Schulmedizin! Klingt herzlos – und ist so auch gemeint. Jeder nutzt sie, wo sie funktioniert. Aber sympathisch glaubwürdig findet die Mehrheit der Deutschen – laut einer Umfrage des Demoskopie-Instituts Allensbach – die Mysterien der Wunderheilung. Rituale der Gesundheit.

Ihre Accessoires: geweihtes Wasser, vitaminschonender Dampfkochtopf, live sprießender Kräutergarten, Rotbäckchen-Saft, peruanischer Heilaltar. Alles gleichwertig nebeneinander aufgebaut – nicht idealisiert, nicht hinterfragt. Für unkritische Enthusiasten und uninformierte Skeptiker ist das ein gefundenes Fressen. „An Beispielen“, so Museumsleiter Achim Tischer, „wollen wir die kulturelle Vielfalt des Umgangs mit Krankheit zeigen, eine Art globalen Gesundheitsflohmarkt, bei dem auch alles erlaubt ist, was nicht über die Krankenkassen abgerechnet werden kann.“

Das hinter den Gesundheitsritualen stehende Prinzip sei das gleiche wie beim Talisman: es würden Abwehrkräfte aktiviert gegen das Böse, die Krankheit. Das beruhige. Tischer: „Es ist eine universelle menschliche Schwäche, sich mit Magie abzusichern.“ Also die Macht der Vorstellungskraft gegen die der Chemie auszuspielen. Für Tischer gilt: „Die Methoden sind egal, Hauptsache sie helfen.“

Jeder Scharlatanerie bietet die Ausstellung ein Forum, da die Besucher ihr persönliches Heilritual vorstellen dürfen: zum nachkochen, nachmachen, drüber nachdenken. „Eine Materialsammlung für die Ethnologie und die stetig wachsende Soft-Szene“, wie Tischer die Fans alternativer Medizin bezeichnet.

In einer Glasvitrine hängen nebeneinander: der mit Amuletten attraktiv besetzte Umhang eines Medizinmannes – und ein Weißkittel mit den Insignien seiner Macht, etwa dem Stethoskop. So wird auf das Thema der Ausstellung verwiesen: Heilung als Show. Der „Doktor.Medizinmann“ ist Druide und Arzneimittel zugleich. Die rituelle Darstellung seiner Autorität und Kompetenz verantwortet die Heilungswunder mit. Eine solche Inszenierung wirkt um so besser, je mehr Zauber beigemengt wird. Feuer, Tanz, Musik und Hexensprüche – oder chromblitzende Apparate und griechisch-lateinischer Fachjargon.

Das Ritual ist die Urform der sozialen Kommunikation – und schafft Vertrauen. Der Arzt für Allgemeinmedizin wie der afrikanische Medizinmann fordert vom Patienten als Bittsteller absoluten Gehorsam. Wer sich daran hält, wird mit dem Gefühl der Sicherheit belohnt, womit das Gefühl des Kontrollverlustes, des Krankseins verschwindet. Der Gehorsam der Hausarzt-Patienten bezieht sich auf akribische Vorschriften für die Ernährung, das Freizeitverhalten, die Tabletteneinnahme. Während sich die Teilnehmer eines schamanischen Rituals voll und ganz der Zeremonie einpassen müssen.

Auch die westlichen Medizinmänner zelebrieren den Ablauf eines Arztbesuchs als etwas Sakrales – etwa das unvermeidliche Blutdruckmessen oder den Wechsel vom Warte- ins Sprech- ins Untersuchungszimmer. Dies übt den gleichen Effekt auf die Psyche des Patienten aus wie die rituelle Handlung eines Zauberers auf die Psyche eines Stammesmitglieds. Man muss nur glauben. An das Amulett oder das Medikament. Oder das Placebo. Pillen-Bonbons, die ohne Wirkstoffe wirken. Im Krankenhausmuseum liegen sie zum Probieren bereit.

Zum Ausstellungskonzept gehört es, die medizinischen Heilslehren mit Kunstwerken zu kontrastieren, um so eine Reflexionsebene einzufügen. Im nachgebauten Fitness-Raum steht die Videoinstallation „Po-Becken-Hüfte“ von Tanja Natter. Zu sehen sind Extremsport-Dehnungen aus extremen Kameraperspektiven, aber auch lustig sportives Hüpfen zu Anweisungen Claudia Schiffers. Die Ironie ist als Kommentar überdeutlich. Und wenn Nezaket Ekici eine halbe Stunde lang – in einem Video – mit einem Arm frische Sahne zu Butter rührt, wirkt auch das wie ein Ritual. Allerdings eines, das bei Einsatz moderner Mixer-Technik in wenigen Minuten den gleichen Effekt vorzuweisen hätte. Ein ebenfalls deutlicher Kommentar zur verwirrend kommentarlosen Ausstellung. fis

bis 19. Dezember, Mi-So: 15-18 Uhr, Infos: www.krankenhausmuseum.de