„Wir brauchen mehr – von allem“

Das Elend in Darfur wird immer größer. Weder Hilfswerke noch Flüchtlinge rechnen mit einer Verbesserung der Lage mitten in der Regenzeit

AUS MORNI TOM SPIELBUECHLER

Lange bevor man Morni erreicht, sieht man die weißen Plastikfolien in der Sonne glänzen, mit denen die kleinen Strohhütten notdürftig gedeckt sind. Nur einige Ziegelhäuser ragen aus dem Meer von Hütten, das sich über vier Quadratkilometer erstreckt. Morni ist das größte der 31 Vertriebenencamps in der Provinz Westdarfur. Hier lebten rund 6.500 Menschen. Heute drängen sich über 70.000 in der Stadt.

Die Luft flimmert über dem staubigen Boden, aber die aufziehenden Wolken kündigen schon den nächsten sintflutartigen Regenfall an. Er wird das Flüchtlingslager wieder in eine riesige Schlammpfütze verwandeln. Noch liegen mehrere Sonnentage zwischen den Schauern. In wenigen Tagen aber, zum Höhepunkt der Regenzeit, kommen die Niederschläge öfter, dann wird die Straße in die 80 Kilometer entfernte Provinzhauptstadt al-Geneina unpassierbar.

In Morni finden die Vertriebenen vorerst alles, was sie zum Überleben brauchen. Sie bekommen Nahrung, rund 2.100 kcal pro Person und Tag, sofern der Nachschub durchkommt. Es gibt medizinische Versorgung, für die Kinder sind Schulen organisiert. Die Menschen hier haben alles verloren: ihre Dörfer, die Äcker und ihre Herden – ganz abgesehen von den vielen Toten, die sie zurücklassen mussten. Es klingt zynisch, wenn ein Regierungsvertreter sagt, die Leute strömten in die Camps, um die bequemen Segnungen der internationalen Hilfe zu „genießen“.

„Die Regierung attackierte unser Dorf vor acht Monaten. Seitdem sind wir hier“, sagt Scheich Ibrahim Idris, das traditionelle Dorfoberhaupt. „Es gab Tote, die wir nicht begraben konnten. Viele unsere Töchter wurden vergewaltigt.“ Ähnlich erinnert sich Scheich Hassan Saleh Iagub, der einst 24 Dörfer und insgesamt 30.000 Einwohnern regierte. „Die Dschandschawid kamen um sieben Uhr auf Pferden und Kamelen“, erinnert er sich an den Überfall auf seine Gemeinde Dschabun im Januar. „Danach folgten Angriffe mit Autos und Helikoptern. Sieben Tage lang. Insgesamt 50 Männer sind dabei gestorben. Wir haben alles verloren – unsere Ernte, unser Vieh. Unsere Toten konnten wir noch begraben, aber die Dschandschawid haben einige wieder ausgegraben. Wir konnten nichts dagegen machen.“ Dann entschieden sich die Menschen zur Flucht: „Wir haben uns zehn Tage in der Nähe des Dorfs versteckt. Dann sind wir endgültig geflohen“, erzählt der Scheich.

Auch noch in Morni haben die Vertriebenen Angst. „Die Dschandschawid sind in der Gegend“, sagt Scheich Idris. Wer das Lager verlasse, riskiere den Tod. Frauen müssen im umliegenden Busch Feuerholz sammeln oder Tote begraben. Ihnen drohe „nur“ Vergewaltigung, ist von einer Unicef-Helferin zu erfahren. Auf dem Weg nach Morni waren tatsächlich Kamelherden zu sehen. „Dschandschawid“, kommentierte der Fahrer. Nur die Nomaden haben Kamelherden, die Milizen sind also nicht weit.

In Morni selbst ist ein kleines Kontingent Polizisten stationiert. Die Flüchtlinge trauen ihnen aber nicht. Sie erzählen von Übergriffen: Leute seien schikaniert oder gar geschlagen worden. Scheich Idris befürchtet, dass die Polizei das Leben in Morni möglichst unerträglich machen wolle, um die Leute zur Rückkehr zu zwingen. Gerüchte machten die Runde, dass die nächste Lebensmittelverteilung an die Bereitschaft gekoppelt sein könnte, Morni zu verlassen. „Aber wir werden das Lager nicht verlassen. Hier haben wir alles zum Überleben, dort haben wir nichts!“ Zurückkehren, sagt Scheich Idris, komme nur infrage, falls Sicherheit gewährleistet wird. Und wie? Der Scheich muss nicht lange überlegen: „Internationale Truppen“.

Nicht ganz unproblematisch erweist sich das Misstrauen der Flüchtlinge in die Regierung auch für die internationalen Helfer. „Unsere Mission ist es, Menschenleben zu retten“, erklärt eine Sprecherin des UN-Welternährungsprogramms WFP. Dazu sei man aber auf Kooperation mit der Regierung angewiesen.

Der Gipfel der Krise ist noch keineswegs erreicht. 340.000 Vertriebene hat das WFP im Juli in Westdarfur versorgt. Bis Ende August sollen es nach den UN-Prognosen 500.000 werden. „Wir brauchen mehr – von allem. Momentan können wir die Menschen hier nicht mehr ausreichend versorgen“, fasst der WFP-Projektleiter die Situation in Westdarfur zusammen.

Bereits jetzt, erklärt eine Sprecherin des WFP in Khartum, fehlten Hilfsgüter – Weizen, Sojabohnen, Speiseöl, Linsen, Salz –, und man bringe das Vorhandene nur unter größten Schwierigkeiten zu den Notleidenden. Im UN-Jargon spricht man von einer „stockenden Pipeline“ und „Problemen in der Distribution“.

Zwei große Probleme behindern die Verteilung von Hilfsgütern. Zum einen ist es der katastrophale Zustand der Sandpisten: Schon jetzt sind sie durch den Regen aufgeweicht und zum großen Teil unpassierbar. Dazu kommen noch Sicherheitsprobleme – Kämpfe zwischen den von der Regierung unterstützten Dschandschawid und den Rebellen. Dem Transportproblem begegnet die UNO mit Abwürfen aus der Luft, was enorm kostspielig ist. Die Sicherheitsprobleme kann sie nicht lösen.